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Meinung: Demokratie, nicht Shakespeare

Warum der Abweichler von Kiel kein Verräter war, wie viele meinen Von Jürgen Dittberner

Wirklich ermordet wurde sie ja nicht: Heide Simonis lebt glücklicherweise. Als Politikerin ist sie tot – und muss dennoch inmitten sehr lebendiger Politiker die Stellung halten, bis der Nachfolger – wir sind in Kiel! – das Steuerrad übernimmt. Immer und immer wieder wird sie grübeln: Wer war es, der mir den „hinterhältigen Dolchstoß“ versetzt hat? Es gibt es nur einen Menschen, der alles aufdecken könnte: der Täter.

Der „Täter“? Kein geringerer als der Bundeskanzler spricht davon, Simonis sei „das Messer in den Rücken gerammt“ worden. Gerammt! Der zu den Verdächtigten zählende Finanzminister Ralf Stegner beklagt einen „schäbigen und charakterlosen Verrat“. Will er seine Unschuld beteuern, oder gehört er selbst zu jenen Brandstiftern, die als Erste nach der Feuerwehr rufen?

Wolfgang Kubicki ist in die Staatskanzlei gegangen, hat Heide in den Arm genommen und ihr gesagt, das hätte sie nicht verdient. Dies alles teilte er eiligst der Presse mit. Gibt es wirklich nur einen „Täter“ im Landtag von Schleswig-Holstein?

Einer – oder gar eine ? – aus dem wundersamen „Bündnis“ von SPD, Grünen und SSW hat Simonis beharrlich die Stimme verweigert, sie aber auch nicht dem CDU-Konkurrenten gegeben. Es könnte ein Stratege sein wie Stegner, der sich selber ins Spiel bringen wollte. Oder einer von jenen, denen Simonis einmal auf die Füße getreten ist und der sich nun rächt. Oder aber auch einer, der das Wahlergebnis als Mandatsverlust des Regiments Simonis’ verstanden hat und seinem Land einen Neuanfang wünschte.

Also ein Karrierist, ein Rächer oder ein politischer Altruist? Möglich ist alles und noch mehr. Nur: Es war gar kein „Täter“. Was sich wie eine bittere Schurkerei gar Shakespearschen Ausmaßes anhört, war in Wirklichkeit gehöriger Parlamentarismus. Ein Mitglied des Kieler Landtages hat in Anspruch genommen, was unsere Verfassung garantiert: das freie Mandat.

Es könnte doch sein: Während Frau Simonis meinte, alles ginge um sie, fand eine(r) in „ihren“ Reihen, es gehe um Schleswig-Holstein. Demokratie ist auch Wechsel, und wenn die Verharrungskräfte der Etablierten zu stark sind, muss eben nachgeholfen werden. Das Volk hatte es so gewollt, dass dazu nur eine einzige Abgeordnetenstimme erforderlich war.

Aber darf ein Abgeordneter verdeckt abweichen? Er darf. Welchen Sinn hätte sonst die geheime Wahl?

Wenn der Druck der Parteiführungen noch so groß ist: Bei der Wahl eines Bundeskanzlers oder einer Ministerpräsidentin muss jeder und jede Abgeordnete für sich alleine entscheiden. Durch Wahlen erhalten zunächst einmal nicht die Parteien und Spitzenkandidaten ein Mandat auf Zeit, sondern die Abgeordneten. Sie vertreten zwischen den Wahlen das Volk, entscheiden an seiner statt – auch über die Zusammensetzung der Regierung. Nicht der Ministerpräsident wählt das Parlament, sondern umgekehrt. Und jeder Abgeordnete hat einen Auftrag von unten, vom Volk, und nicht von oben, von der Parteiführung. Es ist gut, dass dies in Kiel deutlich geworden ist.

Aus Drang nach persönlichem Machterhalt, mit parteipolitischem Blick auf den Bundesrat und auf Nordrhein-Westfalen sollte in Schleswig-Holstein ein fragiles Regime etabliert werden. Die Parteiführung der SPD hatte das Wählervotum nicht verstanden und das Ende der Ära Simonis nicht erkennen wollen.

Wer hat Heide Simonis ermordet? Niemand. Ihre politische Aura ist zerbröselt; die Politikerin Simonis ist eines „natürlichen“ Todes gestorben. Jedes politische Regiment hat einen Anfang, der nach der Geburt des ihn tragenden Menschen liegt. Und in einer Demokratie liegt das Ende normalerweise vor dem natürlichen Tod.

Der Autor lehrt Politikwissenschaft in Potsdam und ist FDP-Mitglied.

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