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Meinung: Den Osten ins Zentrum

Von Antje Sirleschtov

Über die Machtbasis der Kanzlerkandidatin in ihrer eigenen Partei hat Otto Graf Lambsdorff jüngst ein bisschen böse gesagt, sie reduziere sich auf die Insel Rügen, Angela Merkels Heimatkreis also. Auch wenn der Graf damit nicht ganz richtig liegt, so berührt er doch einen der wundesten Punkte von Angela Merkel in ihrem Kampf um das oberste Regierungsamt: Die Frau weiß nicht so genau, wie sie mit Herkunft umgehen soll. Schlimmer noch, im verständlichen und auch notwendigen Streben, sich den Wählern als Kanzlerin für alle Deutschen zu präsentieren, unterspielt sie ihre ostdeutsche Geburt geradezu. Und provoziert damit Unsicherheiten in Ost wie in West. Wird diese Kanzlerin nun eine von hier sein oder eine von drüben? Und welche Erwartungen an ihre Politik darf – muss – man damit verknüpfen? Nur eines scheint klar: Das von Merkels selbst zurzeit gemalte Bild der ersten gesamtdeutschen Kanzlerin scheint irgendwie schief. Dazu ist die gefühlte Einheit wohl doch noch nicht reif genug.

Rein taktisch könnte man Merkels OstUnderstatement verstehen, schließlich birgt jedes allzu offensichtliche Bekenntnis auf den ersten Blick wahlstrategische Gefahren, innerdeutsche sozusagen. Denn noch immer verbinden große Teile der Bevölkerung den Osten mit sinnlos versenkten Milliardensubventionen. Ein Landstrich, der einerseits für das Plündern der (west-)deutschen Sozialsysteme und damit für das Kernübel der Gegenwart verantwortlich gemacht wird.

Und auf der anderen Seite: Wie passt eine ostdeutsche Kanzlerin zur eigenen Erfahrung vieler Ostdeutscher, ohnehin nur am Katzentisch der Macht in diesem Land geduldet zu sein? Die Frage nach der Zusammengehörigkeit fernab gesamtdeutscher Sonntagsreden kann den bekennenden westdeutschen Kanzler Schröder kalt lassen. Seine Herausforderin jedoch nicht. Denn Merkels Herkunft, weit offensiver vertreten als jetzt, könnte gerade im Osten viel Unterstützung dort finden, wo die alten Ost-West-Ressentiments längst einem selbstbewussten Lebensgefühl gewichen sind. Seht her, wir sind wer, wir können es schaffen bis ganz oben. Im Westen könnte Merkels Bekenntnis, wenn nicht zum positiven Akt der innerdeutschen Aufklärung, so doch zumindest zur Folie für die Erklärung werden, wie eine CDU-Politikerin ganz Deutschland erfolgreich regieren soll, in deren Heimat jeder Dritte die Lafontaine’sche PDS unterstützt.

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