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Meinung: Denk mal Europa

Am Donnerstag wird der Bundestag die EU-Verfassung absegnen – nach ein paar Reden

Vermutlich müsste man schon vom „Brüsseler Ermächtigungsgesetz“ reden, um ein wenig Aufmerksamkeit für die europäische Verfassung zu wecken. Wer würde in diesen von der Vergangenheit geprägten Tagen sonst bemerken, dass der Deutsche Bundestag am Donnerstag über ein Projekt entscheidet, dass die Zukunft dieses Landes mehr prägen wird als irgendeine Agenda 2010?

Gerade das Gedenken jenes Moments, an dem Europa vor seinem scheinbar unaufhaltsamen Untergang bewahrt wurde, hätte Anlass geboten, um über die Zukunft dieses Kontinents nachzudenken. Ohne die europäische Katastrophe, ohne Hitler, Speer und ohne die Ermordung der Juden, wäre Europa kaum zu einer Union geworden, es stünde auch niemals vor der Ratifizierung eines „Vertrages über eine Verfassung für Europa“.

Dass es in Deutschland zu diesem – in anderen Ländern Europas durchaus umstrittenen – Vertrag kein Referendum geben wird, kann man zu Recht bedauern. Dass er aber nicht einmal debattiert wird, dass es keine innenpolitische Auseinandersetzung gibt, ist erschreckend. Morgen werden noch „ein paar salbungsvolle Reden gehalten, und dann wird der Vertrag durchgewunken“, beschreibt der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele das große europäische Ereignis im Deutschen Bundestag. Solch politisches Desinteresse wirkt besonders beunruhigend in diesen Tagen.

Man muss nicht, wie der CSU-Abgeordnete Gerd Müller, fürchten, dass der Vertrag den Bundestag zum „Papierkorb“ der Brüsseler Rechtsetzungsmaschinerie degradieren werde. Doch man muss sich diesem Einwand stellen, ebenso wie man der Linken erklären muss, warum die Mitgliedstaaten durch die Verfassung verpflichtet werden „ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern“. Nicht alles, was sowohl Teile der CSU als auch auch Ströbele ablehnen, ist automatisch gute Politik. Vor allem, da es selbst unter Verfassungsrechtlern Bedenken gegen das Vertragswerk gibt.

Dabei wäre die europäische Verfassung politisch leicht zu verteidigen, zum Beispiel organisiert sie die Macht innerhalb der Union gerechter und demokratischer als es jetzt noch der Fall ist. Man muss es aber auch tun. Tony Blair traut es sich, und stellt die Verfassung im europaskeptischen Großbritannien zur Wahl. Gerhard Schröder wirbt in Frankreich für die Verfassung, hierzulande aber schweigt er: Wozu auch über etwas reden, wenn selbst der CDU-Abgeordnete Peter Hintze Kritiker mit dem Gerede vom „nationalen Interesse“ mundtot zu machen versucht. Auch das, in diesen historischen Tagen, eine durchaus befremdliche Wortwahl.

In Frankreich liegen inzwischen die Befürworter der Verfassung nach neuesten Umfragen zum ersten Mal vorn. Das ist das Ergebnis einer wochenlangen nationalen Debatte. Wenn nach einer solchen Diskussion die Verfassung dann scheitert, ist das kaum eine Katastrophe zu nennen; in der Demokratie lautet der Begriff dafür schlicht Abstimmungsniederlage. Setzt sie sich in einem solchen Prozess durch, darf man es als bewusste politische Entscheidung betrachten.

Nur ohne eine solche inhaltliche Auseinandersetzung darf man von Katastrophe reden – wie auch immer die Abstimmung im Bundestag ausgeht.

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