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Meinung: Der Bär tanzt nicht mehr

Putins Russland setzt zunehmend auf eine Politik der imperialen Größe

Schlimmer, trösteten sich Optimisten, als Putin gegen Ende seiner ersten Amtszeit die Keule zum finalen Schlag gegen kritische Medien schwang, könne es ja nun wohl kaum noch kommen. Doch, widersprachen Pessimisten und behielten wieder einmal Recht. Im Jahre sechs der Ära Putin schaffte Russland laut Jahresbericht von Freedom House – einem amerikanischen Monitoring-Zentrum, das weltweit den Puls von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit fühlt – den bemerkenswerten Absturz vom „halb freien“ zum „unfreien“ Land und findet sich im in einen Boot mit Schurkenstaaten wie Nordkorea wieder.

Die Kritik ist berechtigt. Selbst einstige Mittäter des Kremlherrschers, wie Expremier Michail Kassjanow oder Putins gerade zurückgetretener Wirtschaftsberater Andrej Illarionow – beide alles andere als „lupenreine Demokraten“ – distanzieren sich inzwischen öffentlich von den Grundideen ihres einstigen Hoffnungsträgers: der gelenkten Demokratie und einer straffen Machtvertikale.

Zwar sind Befürchtungen, das totalitäre Regime der roten Kommissare könnte wieder auferstehen, überzogen: Ein Mindestmaß an Rechtsstaatlichkeit ist Voraussetzung für das Funktionieren marktwirtschaftlicher Mechanismen, die sich in Russland, wenn auch vor allem in der verzerrten Form des Staatskapitalismus ohne Frage durchgesetzt haben.

Wachsende antidemokratische Tendenzen sind dennoch nicht zu übersehen und stehen in krassem Widerspruch zu der 1993 mit großer Mehrheit per Referendum in Kraft gesetzten Verfassung. Die bisher frei gewählten Gouverneure werden jetzt durch den Kreml ernannt, die Justiz ist nur auf dem Papier unabhängig. Die Opposition im Parlament, in dem die Kremlpartei Einiges Russland im Ergebnis freier aber nicht fairer Wahlen über eine Zweidrittelmehrheit verfügt, ist ohne jeden Einfluss. Auch der Zivilgesellschaft, bisher nur in Ansätzen vorhanden, droht das Aus: Ein neues Gesetz zu Nichtregierungsorganisationen stellt die de facto unter Kuratel des Staates, den sie eigentlich kontrollieren sollen.

Dazu kommen wachsende fremdenfeindliche Tendenzen, mit denen Teile von Polizei und Beamtenapparat offen sympathisieren – obwohl solche Tendenzen gerade für einen Vielvölkerstaat wie Russland ein schleichendes Gift sind und langfristig den Zusammenhalt der Föderation gefährden. Ausdruck dessen ist die Unwilligkeit des Kremls, das Tschetschenienproblem mit politischen Mitteln zu lösen, also durch Verhandlungen mit den Separatisten, die beim gegenwärtigen Scheinfriedensprozess außen vor bleiben und den Konflikt in andere Regionen des Nordkaukasus tragen.

Besorgnis erregend ist auch der wachsende Einfluss der Geheimdienste auf Innen- wie Außenpolitik, die offensiv auf Wiederherstellung alter imperialer Größe setzt und dabei die Nähe von Verbündeten mit zweifelhafter demokratischer Legitimation und gestörtem Verhältnis zu Menschenrechten sucht: China oder gar Outlaws der internationalen Gemeinschaft wie Iran und Usbekistan.

Bestrebt, die Lufthoheit über Moskaus einstige Vasallen wiederherzustellen, setzt der Kreml über staatsnahe Konzerne wie Gasprom russische Energielieferungen zunehmend als politisches Druckmittel ein – wie jetzt gegen die Ukraine, als Rache für die erfolgreiche Orangenrevolution und die außenpolitische Kehrtwende der neuen Machthaber in Kiew.

Westeuropa sieht dem Treiben bisher weitgehend tatenlos zu. Doch wachsende Abhängigkeit – noch dazu selbst verschuldete – von russischen Gaslieferungen, ist für gestandene Demokratien wie die Bundesrepublik kein Freibrief für ein unkritisches Verhältnis zu russischer Politik. Umso mehr, da Kritik aus Washington momentan eher kontraproduktiv ist. Wegen diverser Abirrungen der Bush-Administration vom demokratischen Pfad und, weil die USA sich mit Russland einen beinharten Konkurrenzkampf auf dessen einstigem Hinterhof liefern. Für Europa die Chance, den Quantensprung vom wirtschaftlichen zum geopolitischen Schwergewicht zu wagen.

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