zum Hauptinhalt

Meinung: Der Beton wird neu gemischt Berliner Gewerkschaften streiten über eine andere Tarifpolitik

Der Ausstieg von Arbeitgebern aus Tarifverträgen ist für jede Gewerkschaft eine harte Nuss. Den Arbeitnehmern werden mit einem solchen Schritt Einfluss, Handlungsspielraum und tarifliche Besitzstände weggenommen.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Der Ausstieg von Arbeitgebern aus Tarifverträgen ist für jede Gewerkschaft eine harte Nuss. Den Arbeitnehmern werden mit einem solchen Schritt Einfluss, Handlungsspielraum und tarifliche Besitzstände weggenommen. Deshalb haben die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes in Berlin auch an der Politik des rot-roten Senats ordentlich zu knacken. Nullrunde und Arbeitszeitverkürzung statt bundesweit vereinbarter Gehaltsanhebung – so lautet das Angebot. Eine durchaus faire Offerte, aber trotzdem eine tarifpolitische Wende.

Offiziell leisten Verdi, GEW, Gewerkschaft der Polizei und Beamtenbund erbitterten Widerstand gegen den radikalen Sparkurs des Senats. Doch verbandsintern dämmert den weniger betonköpfigen Funktionären inzwischen die Erkenntnis, dass die Gewerkschaften bei den Solidarpakt- und Tarifverhandlungen einen großen Fehler gemacht haben. Sie haben mit ihrer Prinzipienreiterei wesentliche Prinzipien der Gewerkschaftspolitik in Gefahr gebracht: Der Flächentarifvertrag zerbröselt, Einstellungskorridore schließen sich, Offensiven für mehr Teilzeitarbeit und neue Formen der Arbeitszeitverteilung verkümmern.

In den eigenen Reihen kommt es deshalb zu Richtungskämpfen; überlagert von Profilierungsversuchen besonders eitler Gewerkschaftsvorstände. Nur die gut eingeübte Verbandsdisziplin verhindert weitgehend, dass der Streit um den künftigen Kurs nach außen dringt. Die Besitzstandswahrer und die Reformwilligen beharken sich; die Stimmung innerhalb der Berliner Gewerkschaften ist schlecht und lange nicht so kämpferisch, wie nach außen demonstriert wird. Die „Es-muss-alles-so-bleiben-wie-es-ist“-Linie kann nur noch notdürftig verdecken, dass es keine klare Linie mehr gibt. Auf die Fragen der öffentlichen Armut in Berlin können die Gewerkschaften keine seriösen Antworten mehr geben.

Das liegt daran, dass es keine zielgerichtete und organisierte Diskussion über eine zukunftsträchtige und flexiblere Tarifpolitik gibt. Jedenfalls nicht in Berlin; eher in den gewerkschaftlichen Bundesverbänden. Natürlich ist es schwierig und braucht Zeit, Parteien und große Verbände in eine neue Richtung zu rücken. Aber einen Versuch sollte es wert sein. Leider sind in den Berliner Gewerkschaften keine Führungspersönlichkeiten in Sicht, denen zuzutrauen wäre, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen.

SEITE 8

Zur Startseite