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Meinung: Der Charme der Revolution

Von Pascale Hugues, Le Point

Die Zeiten sind vorbei, als der Pelzmantel – ähnlich wie die Krokohandtasche, das KaschmirTwinset und die Perlenkette – noch ein obligatorisches Element jeder eleganten Damengarderobe war. Man muss heute schon nach München oder Wien fahren, in die letzten Hochburgen der Schickimickeria und des steifnackigen Konservatismus, um noch Chinchillas und Nerze die Straßen entlangpromenieren zu sehen. In Berlin ist der Pelzmantel trotz sibirischer Fröste eine vom Aussterben bedrohte Spezies. Er ist so etwas wie die ultimative Grenzüberschreitung, die Inkarnation des Bösen. Man verbindet mit ihm nicht mehr die leicht vulgäre Erotik einer Femme fatale, auch nicht den diskreten Schick der Bourgeoisie – man denkt eher an eine blutlüsterne Horde mordender Psychopathen. Die einzigen Berliner, die ihn noch ohne schlechtes Gewissen tragen, sind: 1. Wilmersdorfer Witwen, die im schwarzen Astrakanpelz die Rolltreppen des KaDeWe auf und ab fahren; 2. Transvestiten in schäbigen Charlottenburger Nachtbars; 3. Gebleichte Blondinen, die die Terrasse der Wiener Konditorei am Roseneck mit dem Après-Ski-Gelände in Gstaad verwechseln; 4. „Matroschkas“, die Lebensgefährtinnen neureicher Russen, die zum Gucci- Kostüm Chanel N°5, Louis-Vuitton-Handtasche und Luchsmantel tragen, damit die sorglose Übereinanderschichtung von Markennamen auf ein gut gefülltes Portemonnaie schließen lässt.

Das jedenfalls glaubte ich, bis ich am 9. Januar zur Gedenkfeier des Todestages von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht die Gedenkstätte in Friedrichsfelde besuchte. Eigentlich so etwas wie die pelzmantelfreie Zone schlechthin, sollte man meinen. Deshalb wollte ich meinen Augen kaum trauen, als in der Masse aus grauen Anoraks, Schiebermützen und Strumpfmasken, die schwerfällig um das Ehrenrondell der deutschen Revolution kreiste, plötzlich zwei Kämpferinnen in rostroten, knöchellangen Fuchsmänteln auftauchten. Auf ihren Schultern ruhte ein immenses rotes Banner mit der Aufschrift „Partito Communista Rifondazione“. Den Widerspruch zwischen dem seidigen Luxus des Fuchsfells und dem rissigen Stoff ihres Klassenkampf-Transparents nahmen sie offenbar nicht als solchen wahr. Dabei hatte doch gleich am Friedhofseingang ein Plakat die Besucher zur eindeutigen Lagerwahl aufgefordert: „Sozialismus oder Barbarei!“ „Der Kommunismus beginnt im Kopf!“, halten die Damen der Cremona-Sektion dagegen, mit hohen, piepsigen Stimmchen. Ihre Ehemänner sehen aus, wie man sich Latifundienbesitzer aus der Lombardei vorstellt. Sie tragen Tweed-Dufflecoats und Shetland-Pullis, und ihr nobles Profil kontrastiert auffällig mit den grob geschnittenen, Otto-Dix-artigen Zügen der Berliner Arbeiterklasse.

Die Blaskapelle Fritz Weineck spielt „Bandiera Rossa“ als Foxtrott-Version. Ein Flugblattverteiler aus Straubenhardt bei Pforzheim verurteilt „die Steuerung der Gesellschaft durch BND und Verfassungsschutz unter besonderer Berücksichtigung technischer und illegaler Aspekte“. Zu meiner Verblüffung präsentiert er eine plausible Erklärung für die deutsche Misere: „In Italien zahlen die kleinen Leute längst nicht so viel Steuern wie wir in Deutschland. Der Franzose gibt 25 Prozent seines Einkommens für Lebensmittel aus. 80 Prozent der Spanier haben ein eigenes Haus. Nur wir arbeiten für den Staat!“ Das schwarze T-Shirt eines anderen Demonstranten verkündet schlicht: „Ich scheiß drauf, deutsch zu sein!“

Es riecht nach Chinapfanne, Bockwurst und Glühwein. „Es reift der Same der Revolution mit jeder Stunde!“, verspricht das Spruchband auf dem roten Nelkenkranz, den die PDS auf Rosas Grab niedergelegt hat. Mit frivolem Schaudern stelle ich mir vor, was wohl passieren würde, wenn ein wütender Kommunist einen Topf blutroter Plakatfarbe in den Pelz der schönen Revolutionärinnen aus Cremona schmieren würde. Aber nein, dieses Jahr kommen die Füchse glimpflich davon. Es lebe die internationale Solidarität!

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