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Meinung: Der Euro hat Kultur

Nach turbulentem Start haben die EU-Bürger Glück mit den Herren des neuen Geldes

Hurra, sie lebt noch, die kränkelnde Frühgeburt – so hat keiner gejubelt. Aufpassen, wir dürfen uns des neuen Geldes noch immer nicht sicher sein – so hat keiner gewarnt. Es ist erstaunlich, wie geschäftsmäßig Europas Öffentlichkeit den ersten Wechsel an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) zur Kenntnis nahm. Als sei das längst Routine und nicht eine Premiere, die doch Anlass genug sein könnte für eine tiefergehende Selbstvergewisserung, wie es um den Euro steht.

Die junge Währung ist offenbar kein Aufreger mehr. Europa hat eine gute Hand gehabt – beim Personal, bei den Mechanismen. Das ist beruhigend. Aber nicht selbstverständlich. Die ersten Jahre der EZB verliefen bisweilen turbulent. Die Wahl des ersten Präsidenten Wim Duisenberg wurde von einem erbitterten Machtkampf mit Erpressungsversuchen, Verletzungen und einem faulen Kompromiss begleitet. Später sah sich Duisenberg nach ungeschickten Äußerungen so nachdrücklichen Rücktrittsforderungen ausgesetzt, dass ein Teil der Medien ihn abschrieb. Und der Euro erlebte in den ersten Lebensjahren sowohl Talfahrt als auch Höhenflug in einem Ausmaß, das der Wirtschaft der Eurozone angeblich erheblichen Schaden zufügte.

Und dennoch bleibt die Öffentlichkeit bei der Einführung des zweiten EZB-Präsidenten, Jean-Claude Trichet so gelassen? Vielleicht ist es ja umgekehrt: Beruhigt können die Euro-Bürger nicht trotz dieser gravierenden Belastungsproben sein – sondern weil es sie gab und EZB und Euro sie bestanden haben. Sie haben Krisenfestigkeit gezeigt.

Brüssel, Mai 1998. Beim Mittagessen wollen Europas Staats- und Regierungschefs den ersten EZB-Chef küren. Die Sitzung zieht sich bis nach Mitternacht, weil Frankreich auf seinem Kandidaten besteht, nachdem Deutschland bereits den EZB-Sitz in Frankfurt/Main bekommen hat. Jacques Chirac bleibt auch stur, als er allein gegen die 14 anderen steht, und erzwingt die Aufteilung der ersten Amtszeit: Duisenberg soll nach vier Jahren Trichet Platz machen. In der Pressekonferenz hören sich ein gequält lächelnder Chirac und ein zufrieden grinsender Helmut Kohl an, wie Duisenberg ankündigt, er werde aus Rücksicht auf sein Alter nicht die vollen acht Jahre amtieren, aber keinen Rücktritt zur Halbzeit zusagt. „Komödie der Lügen“, titeln Zeitungen.

Fünfeinhalb Jahre sind daraus geworden. Die Dauer des Ermittlungsverfahrens gegen Trichet in Sachen Beihilfe zur Bilanzfälschung der Bank „Credit Lyonnais“ hat mitgeholfen, aber der Freispruch liegt nun schon ein bisschen zurück. Entscheidend war: Duisenberg wollte zu Recht ein Signal setzen. In EU-Europa sind Kompromisse nötig, Erpressungen aber werden nicht hingenommen.

Angst vor Trichet muss niemand haben. Gegen ihn sprach Chiracs Politik, nicht Trichets Währungspolitik. Er hat sich als unabhängig erwiesen, wie Duisenberg. Warum nicht darauf vertrauen, dass er den Stabilitätspakt und den Geldwert, die im Interesse aller Europäer liegen, vor Begehrlichkeiten nationaler Regierungen schützt, die mit ihren Staatshaushalten nicht Maß halten können?

Europa hat in wenigen Jahren mit einem starken und einem schwachen Euro leben müssen, mit Dollarkursen zwischen 82 und 117 Cent – und es ist damit zurechtgekommen, mal besser, mal schlechter. Natürlich erleichtern niedrige Wechselkurse das Exportgeschäft, umgekehrt macht ein starker Euro das Reisen (außerhalb des Euroraumes) billiger. Der mit Abstand größte Handelspartner des Euroraums aber ist – der Euroraum. Und da gibt es kein Währungsrisiko mehr.

Duisenberg geht, Trichet tritt an, die EZB hat eine Art von Routine entwickelt. Es sieht nach Kontinuität und Stabilität aus. Nicht aufregend, aber anregend. Und für manche ein Grund zum Abregen.

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