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Meinung: Der europäische Patient Von Moritz Schuller

Natürlich kann man die Leiche noch einmal schminken, ihr ein hartes Kissen ins Kreuz schieben und den Angehörigen vom starken Puls vorschwärmen. Die realistische Diagnose nach dem Referendumsdebakel in Frankreich lautet aber: die europäische Verfassung ist tot.

Natürlich kann man die Leiche noch einmal schminken, ihr ein hartes Kissen ins Kreuz schieben und den Angehörigen vom starken Puls vorschwärmen. Die realistische Diagnose nach dem Referendumsdebakel in Frankreich lautet aber: die europäische Verfassung ist tot. Leider. Der Vertrag hätte die Union in vielerlei Hinsicht auf eine bessere Grundlage gestellt, er hätte die Union stärker, auch demokratischer gemacht. Hätte. Die Franzosen haben diese Verfassung mit einer klaren Mehrheit abgelehnt. Die Spielregeln dabei waren eindeutig: Kein Plan B, es geht ums Ganze, die Verfassung gilt nur, wenn sie von allen Mitgliedsländern ratifiziert wird. Frankreich, das zweitgrößte Land Europas, hat trotzdem mit Nein gestimmt.

Dieses Votum zu respektieren, kann also nur bedeuten: den Ratifizierungsprozess zu beenden und diese Verfassung für tot zu erklären. Den Franzosen vorzuwerfen, sie hätten ja gar nicht über den Inhalt der Verfassung abgestimmt, sie womöglich noch einmal antreten zu lassen, wenn die politische Stimmung eine andere ist; oder Europa ohne das Kernland Frankreich voranzutreiben – das hieße, im Nachhinein die Spielregeln zu ändern. Die Ratifizierung fortzusetzen, würde genau das verstärken, was eben auch zur anti-europäischen Stimmung in Frankreich beigetragen hat: das Gefühl der politischen Ohnmacht gegenüber einem Projekt. Die Verfassung dennoch – wie auch immer – in Kraft treten zu lassen, würde diese Entfremdung von Europa noch befördern.

Je früher die Diskussion darüber beginnt, welche Teile aus dem Vertragswerk ausgekoppelt werden und dann – weniger theatralisch als durch eine „Verfassung“ – europäische Realität werden können, desto besser. Neben dem wahrscheinlichen Nein der Niederländer am Mittwoch auch noch das Risiko eines polnischen oder eines britischen Neins in Kauf zu nehmen, wäre verantwortungslos. Das würde bedeuten, den Ratifizierungs- zu einem Fäulnisprozess verkommen zu lassen, und Zeit, die Europa gar nicht mehr hat, verstreichen zu lassen. Vor allem aber würde es den Status Frankreichs innerhalb Europas auf Monate hinaus in Frage stellen. Wie auch immer die übrigen Mitgliedsländer abstimmen würden: Schon ohne Frankreich kann es Europa nicht geben.

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