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Meinung: Der Fall Milosevic: Nun müssen sie zittern

Slobodan Milosevic vor Gericht: Welche Genugtuung für die Opfer und ihre Angehörigen nach all den Schwerstverbrechen gegen die Menschlichkeit! Es ist aber auch ein historischer Moment.

Slobodan Milosevic vor Gericht: Welche Genugtuung für die Opfer und ihre Angehörigen nach all den Schwerstverbrechen gegen die Menschlichkeit! Es ist aber auch ein historischer Moment. Zum ersten Mal seit den Nürnberger Prozessen gegen die Führung der Nazi-Diktatur zieht die Weltgemeinschaft den höchsten politischen Verantwortlichen für monströse Untaten unter seiner Herrschaft zur Rechenschaft - was bei Stalin, Pol Pot, Pinochet, der argentinischen Militär-Junta oder der Apartheid in Südafrika nicht gelungen war. Fast ist man geneigt, an die pathetische Hoffnung nach dem Verfall des Ostblocks zu erinnern: Nun entstehe eine neue Weltordnung. UN-Generalsekretär Kofi Annan frohlockt bereits, die Diktatoren müssten künftig zittern.

Zum Thema Rückblick: Milosevics Verhaftung Link: Die Anklageschrift des UN-Tribunals (englisch) Milosevic in Den Haag: Das ist auch ein gnädiger Ausgang für den Westen, insbesondere für Europa nach dem beschämenden Versagen zu Beginn der Balkan-Kriege vor zehn Jahren, der Hilflosigkeit angesichts des Schlachtens in Bosnien und nach all den Zweifeln, die die Nato-Intervention im Kosovo begleiteten, zumal in Deutschland. Nun darf die Debatte noch einmal geführt werden, freilich unter umgekehrten Vorzeichen - falls Chefanklägerin Carla del Ponte denn beweisen kann, dass die Massenvertreibungen der Albaner aus dem Kosovo, die ethnischen Säuberungen und Vergewaltigungen in Bosnien nicht bedauerliche Begleiterscheinungen eines grausamen Krieges waren, sondern Methode.

Jahrelang hatte Milosevic rücksichtslos vom Recht des Stärkeren Gebrauch gemacht. Triumphiert nun die Stärke des Rechts? Nach den mühevollen Versuchen, einem Erich Honecker Verantwortung für den Schießbefehl nachzuweisen, fällt es schwer, leise Zweifel zu unterdrücken. In Den Haag geht es nicht um eine politische Abrechnung mit Milosevic, sondern um einen juristischen Prozess - mit der Pflicht, persönliche Schuld hieb- und stichfest zu beweisen. Den Anklägern in Nürnberg standen die mit deutscher Penibilität geführten Akten des Dritten Reiches zur Verfügung. Hat Milosevic überhaupt schriftliche Befehle erteilt? Oder bleibt ihm die weiße Weste eines Verführers, der zwar eine Stimmung geschaffen hat, in der jeder kleine Handlanger wusste, was gewünscht war, die direkte Aufforderung dazu aber nicht belegbar ist? Gibt es Besprechungsprotokolle - und wird Belgrad sie herausrücken? Solche Papiere würden wohl viele weitere Serben belasten, auch solche, die heute noch Spitzenfunktionen haben.

Unwiderlegbare Beweise sind aber die Voraussetzung für das zweite Ziel: Dass dieser Prozess der serbischen Gesellschaft auf ihrem Weg zur Demokratie hilft. Sie hat den Diktator gestürzt, aber noch nicht endgültig mit dem Denken seiner Ära gebrochen. Premierminister Djindjic schielt bei der Auslieferung auf die Aufbauhilfe. Zu Recht: Für die Demokratie lassen sich die Bürger leichter gewinnen, wenn sie rasche Fortschritte sehen und den Aufschwung auch im eigenen Portmonee spüren. Ebenso wichtig ist jedoch der Selbstreinigungsprozess der Gesellschaft. Der wird nicht gelingen ohne eine ehrliche Auseinandersetzung mit den Verbrechen, die Milosevic schließlich nicht allein verübt hat. Er hatte zehntausende Mittäter, hunderttausende Mitläufer.

Milosevic vor dem Kriegsverbrechertribunal: Das ist ein erster, ein kleiner Schritt. Ob daraus ein großer wird, der Beginn einer neuen Weltordnung gar, vor der die Saddam Husseins zittern müssen - das hängt jetzt von der Vorbereitung der Kläger ab, von der Qualität der gesammelten Beweise und davon, dass Serbiens Bürger ihre Ohren vor der bösen Wahrheit nicht verschließen.

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