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Der Fall Sarrazin: Am Ende ist nicht alles gut

Es ist gut, dass die Bundesbank Sarrazin loswerden will. Drei Personen aber verdienen Kritik: Kanzlerin Merkel, Bundesbankchef Weber und Bundespräsident Wulff.

Auch wenn jene, die von den Vergangenheitsdebatten seit Jahrzehnten die Nase voll haben, es schon lange nicht mehr hören können: Ja, es ist gut, dass die Bundesbankspitze ihr Vorstandsmitglied Thilo Sarrazin loswerden will. Ja, es ist gut, dass die Bundeskanzlerin sich von seinen Sprüchen distanziert – Sprüche, von denen man nicht so genau weiß, inwieweit der ehemalige Berliner Finanzsenator sie aus Überzeugung loslässt oder weil sie der Auflagensteigerung seines Buches dienen. Da gewisse Urteile Sarrazins über Bewohner dieses Landes von Jahr zu Jahr stärker erst zu Vorurteilen wurden und dann zu Infamien pervertierten, steht leider zu befürchten, dass ihn nicht nur sein ausgeprägter kaufmännischer Sinn treibt.

Auch 65 Jahre nach dem Untergang des „Dritten Reichs“ verträgt Deutschland an der Spitze der Bundesbank niemanden, der von Genen faselt, die allen Juden gemein seien – und der das so intoniert, als könne, dürfe, müsse man daraus schließen, dass auch alle Juden bestimmte gemeinsame Charaktereigenschaften haben. Ein Rausschmiss Sarrazins aus seinem Amt, wenn der Bundespräsident denn diese ihm vorbehaltene Entscheidung trifft, ist gut für Deutschlands Ansehen in der Welt, aber auch für das friedliche Zusammenleben innerhalb unserer Grenzen. Und wenn auch viele Bürger Sarrazins Kritik an der mangelnden Integrationsbereitschaft vieler Einwanderer zustimmen: Die politische Führung dieses Landes darf sich populistischen Deutungen und Gehässigkeiten nicht beugen. Das in heuchlerischer Empörung vorgebrachte „Man wird doch wohl noch sagen dürfen …“ leitet eben sehr oft genau zu dem über, was man nicht sagen sollte: dass es wertvolle und weniger wertvolle Menschen gibt. In diesem Sinne ist Deutschland auch im Jahre 2010 kein Normalfall, und wir sollten nicht so tun, als könnten wir uns zum Normalfall erklären. Die Welt würde es uns nicht abnehmen, nicht, weil sie uns einen Schuldkomplex einreden will, sondern weil es nach Auschwitz keine Normalität geben wird.

All das aber ändert nichts daran, dass der Umgang dreier Personen mit der Affäre Sarrazin zu tadeln ist, weil der Vorgang durchdringend nach einem Interessenkomplott riecht, das der rechtsstaatlichen Hygiene schadet. Die Bundesbank ist politischen Weisungen nicht unterworfen. Nicht zuletzt diese Unabhängigkeit hat ihren untadeligen Ruf begründet. Nun könnte man sagen, es ging ja nicht um Geld, als Angela Merkel dem Bankvorstand unmissverständlich signalisierte, was sie von dessen Mitglied Sarrazin hält und was sie von seinen Kollegen erwartet. Es ist aber nicht so, dass sich Sarrazin verrechnet hat, jedenfalls nicht bilanz- und banktechnisch. Aber da ist ja noch Axel Weber. Der Chef der Bundesbank möchte gerne Chef der Europäischen Zentralbank werden. Dazu braucht er Merkels Unterstützung. Nun kommt Bundespräsident Christian Wulff ins Geschäft. Das Staatsoberhaupt entscheidet, ob einem Antrag des Bundesbankvorstands auf Entlassung eines seiner Mitglieder entsprochen werden kann. Er ist also der einzige und oberste Richter in dieser Angelegenheit. Nun hatte aber der Bundespräsident die Bank aufgefordert, tätig zu werden. Damit ließ er klar erkennen, wie er entscheiden würde. Und dass die Bundeskanzlerin genau diese Entscheidung auch erwartete, lag auf der Hand. Wenn Wulff nun noch eine Stellungnahme der Regierung einfordert, wirkt das wie eine Farce.

Naiv wäre, wer glaubte, dieser Bundespräsident sei immun gegen politische Einflüsterungen. Die Weise, in der Angela Merkel ihre Präsidentschaftskandidaten präsentiert – Christian Wulff war ja schon der zweite Coup –, legte alles andere als die Erwartung von Unabhängigkeit nahe. Horst Köhler wurde erst am Ende seiner beiden Amtszeiten frei. Am Beginn seiner Präsidentschaft setzte er die ersten Redetermine, als hätten ihm Merkel und Guido Westerwelle den Kalender geführt. Und wie begründete Christian Wulff in einem Interview vor zwei Jahren, warum er nicht Kanzler werden wolle? „Mir fehlt der unbedingte Wille zur Macht.“ Den hat Angela Merkel. Manchmal hat sie zu viel davon.

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