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Meinung: Der fehlerhafte Geschmack der Zeit

Schiller hat aus der Geschichte gelernt. Das können wir auch Von Klaus von Dohnanyi

Haben Junge und Alte, Einheimische und Zugewanderte die gleichen Grundwerte? In einer Serie von Tagesspiegel und DeutschlandRadio Kultur diskutieren prominente Autorinnen und Autoren Vorbilder, Werte und Toleranz. Zu hören sind die Beiträge sonntags um 12 Uhr 40 auf UKW 89,6.

Friedrich Schiller war erst ein Bewunderer der französischen Revolution. Wenige Jahre später wandte er sich zwar nicht gegen den Dreiklang „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, wohl aber gegen das, was die Kräfte der Revolution dann aus diesem Ideal gemacht hatten: Terror, Blut und Nationalismus. 1799 schrieb ein von der Geschichte belehrter Schiller im Lied von der Glocke: „Wo rohe Kräfte sinnlos walten, / da kann sich kein Gebild gestalten, / wenn sich die Völker selbst befrein, / da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn.“

Sogar seine eigene Ode „Freude schöner Götterfunke …“, geschrieben zwischen 1785 und 1787, die von Beethoven in dessen 9. Symphonie vertonte heutige Europahymne, missbilligte Schiller später. Es sei ein „schlechtes Gedicht“, einem „fehlerhaften Geschmack der Zeit“ gefolgt.

Schiller hatte Hoffnungen gehegt, Enttäuschungen erfahren – und aus dem Verlauf der Geschichte gelernt. Vieles, das zunächst erhobenen Hauptes, selbstgewiss und mit guten Absichten daherkommt, trägt eben auch den Keim der Fäulnis in sich. So war es doch mit den nationalen Bewegungen, die ursprünglich dem Volk nur Selbstbestimmung und Freiheit bringen wollten – aber sie brachten auch die Toten der großen Kriege, ebenso wie die Verherrlichung der Selbstmordattentäter heute. Oder, wenn Propheten uns Freiheit von der Knechtschaft des Kapitals versprachen – diese Versprechen führten auch in die Gulags und in den absurden Überwachungsstaat der DDR.

Was also ist aus der Geschichte zu lernen? Ich denke, als Allerwichtigstes dies: dass der Mensch bleibt, was er immer war – ein gefährliches Wesen, das wir nur in den Grenzen einer rechtlichen Ordnung zivilisieren können. Durch eine Zivilisation, die immer auch die Kraft und den Mut haben muss, sich gegen populistische Strömungen zu stellen und dem Recht zur Herrschaft zu verhelfen. Wir müssen lernen, dass alles Gute zwar mit Freiheit beginnt, dass aber diese Freiheit, dieses Recht zur Selbstverwirklichung, niemals zu einem Anspruch auf Ausbeutung oder Unterwerfung anderer Menschen ausarten darf. Deswegen lebt eine freie Gesellschaft vom Kompromiss. Aus der Geschichte lernen heißt: zu wissen, dass das Zusammenleben der Menschen eine praktische, eine menschengerechte Aufgabe ist und kein theoretisches Experiment.

Das bedeutet nun nicht, man könne und solle in der Politik keine Ideale haben. Auch Fehler muss man machen dürfen, denn „aus Fehlern – nicht aus Erfolgen – wird man klug“, sagt der Volksmund.

Ich denke, dass freie Menschen, die ihre Verantwortung für sich selbst erfahren und so ihr Leben gemeistert haben, auch diejenigen sein werden, die Herausforderungen dann mit weniger Angst, mehr Zuversicht und größeren Erfolgschancen begegnen können. Selbstvertrauen entsteht auch durch die Überwindung von Risiken.

Wir alle gehen schwierigen Zeiten entgegen, die ganze reiche, westliche Welt. Doch diejenigen unter uns, die sich nicht vor der Zukunft fürchten, sie werden die neuen Risiken auch am besten bestehen. „The only thing we have to fear is fear itself“ – „das Einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst“ –, rief Präsident Franklin D. Roosevelt im Jahre 1932 seinem Volk zu und führte die USA aus einer nahezu ausweglosen Lage in eine neue Freiheit – während Deutschland im Nationalsozialismus versank.

Da bin ich wieder bei Schiller. Mut hat sein ganzes Leben bestimmt. Von der jugendlichen Rebellion gegen einen diktatorischen Fürsten bis in seine letzten Lebensjahre, als er Tag für Tag seiner langen Krankheit ein großes, uns noch heute bewegendes Werk abrang. Vielleicht sollte „Gegen-den Strom-Schwimmen“ eine neue olympische Disziplin werden.

Der Autor ist Publizist und war von 1981 bis 1988 Erster Bürgermeister Hamburgs.

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