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Meinung: Der Gärtner der Böcke

CSU-Chef Edmund Stoiber kämpft – für sich und gegen die CDU

Von Robert Birnbaum

Er hat sich versprochen? Er hat’s nicht so gemeint? Er hat gar nicht die Ossis beschimpfen wollen, sondern Oskar Lafontaine? Sehr komisch. „Ich akzeptiere es nicht, dass letzten Endes erneut der Osten bestimmt, wer in Deutschland Kanzler wird.“ Das hat Edmund Stoiber gesagt, mehrfach. Und von „Frustrierten“ hat er gesprochen, die erst recht nicht Deutschlands Schicksal bestimmen dürften. Der Satz könnte sich als prophetisch erweisen, nur noch ganz anders, als es der Redner im Sinn gehabt haben mag. Ein Frustrierter ist dabei, zum Schicksal zu werden – für die Kanzlerkandidatin Angela Merkel.

Wer zu Verschwörungstheorien neigt, könnte hinter Stoibers Sprüchen einen ganz perfiden Plan vermuten. Wer das Leben besser kennt und die in sich verhakelten Bierzeltsatzgetüme des Edmund S. im Wortlaut liest, wird zu dem Schluss neigen, es handele sich konkret eher um die übliche Großmaulerei. Im Effekt läuft beides aufs Gleiche hinaus. Denn hinter alledem steckt ein System, kühl und logisch. Es ist das System „Edmund vor!“

Dessen Ziel ist simpel: Edmund Stoiber will am Abend des 18. September eine optimale Ausgangsposition haben, und zwar für alle Fälle. Deshalb seine strikte Weigerung, sich für Berlin oder München zu entscheiden – egal, ob das Merkel zwingt, ein Kompetenzteam mit Platzhaltern zusammenzustoppeln. Deshalb die Latte für die CDU auf 45 Prozent hochgehängt – egal, ob Merkel ab jetzt einmal pro Woche gebückt darunter durchkriechen muss. Deshalb das offen erklärte Ziel, in Bayern für die CSU wieder 58 Prozent einzufahren – egal, welchen Preis die CDU dafür zahlt. Ossis beschimpfen ist populär in Bayern.

Diese sehr spezielle Variante unionsgeschwisterlicher Einbahnstraßenloyalität hat Tradition. Dass die CDU dagegen wehrlos ist, auch. Sie kann aufschreien und finstere Rache schwören. Den Machiavellisten in München ist das allemal wurscht. Im speziellen Fall umso mehr, als man sich unschwer vorstellen kann, dass Stoibers Crashkurs ein paar hochmögende heimliche Sympathisanten in der CDU findet.

Womit wir zu den Folgen kommen. Für Stoiber ist die Sache erfreulich einfach: Er kann nur gewinnen. Für Merkel ist die Sache unerfreulich einfach: Sie kann verlieren. Schafft es die Union am Ende trotzdem mit der FDP in eine bürgerliche Mehrheit, wird die Episode vergessen und Stoiber kann sich trotzdem aussuchen, welche Rolle er in der künftigen Regierungsarbeit einer Kanzlerin Merkel spielt.

Interessanter wäre der Fall, dass die Union sich eher der Stoiber’schen 38,5-Prozent-Marke von 2002 annähert. Der Bayer weiß genau, dass das von ihm gern beschworene rot-rot-grüne Gespenst ein Spuk ist, kleine Kinder und naive Wähler zu schrecken. Wegen der SPD, vor allem aber wegen der Grünen; doch das nur nebenbei. Die Folge wäre also eine große Koalition.

Mit wem im Kanzleramt? Nach aller Voraussicht: Mit Merkel, trotzdem. Dass die CDU-Jungsbande die Kandidatin nach schwachem Abschneiden wegputschen und Stoiber in den Chefsessel hieven könnten, in der Hoffnung, ihn nach vier verschleißstarken Jahren beerben zu können, ist verschwörungstheoretisch sicher eine spannende Idee. Aber sie wäre kaum in die Tat umzusetzen. Es fehlt an praktischen Gelegenheiten – und nach Stoibers Ostwähler-Verjagung an Legitimation, den Bock zum Gärtner zu machen.

Und für ehrgeizige CDU-Ministerpräsidenten hätte ja schon eine zum Bund mit der SPD gezwungene Angela Merkel genug Reiz. Die Kanzlerin müsste gut Wetter machen, die reine Lehre der Union würde in Wiesbaden, Hannover, Stuttgart und München gelehrt. Und nach vier Jahren zieht die reine Lehre in den Wahlkampf.

Bis gestern übrigens alles Dinge, über die niemand nachgedacht hat. Und alles nur dank „Edmund vor“!

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