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Meinung: Der halbierte Konservatismus Warum die Union kulturell

nicht richtig ankommt

Von Bernd Ulrich

Er ist ein tiefgründiges, rätselhaftes, irisierendes Wesen. Der Wähler. Und die Wählerin natürlich genauso, mindestens. Jahrzehnte lang – oder waren es Jahrhunderte? – hatte man geglaubt, er wähle in erster Linie entsprechend seinen materiellen Interessen. Karl Marx schrieb vor 150 Jahren, dass das Sein das Bewusstsein bestimme und dass die Ökonomie die Basis von allem sei. Das dachten bis vor drei Wochen auch fast alle Politiker. In diesem Punkt waren sie Marxisten, besonders die Christdemokraten. Die haben am 22. September alles auf eine Karte gesetzt: Wirtschaft und Arbeit. Und verloren. Mitten in der schönsten Wirtschaftskrise hat der Wähler für den Mann gestimmt, den er für ökonomisch weniger kompetent hält.

Darüber ist die Union jetzt sehr verwirrt und streitet. Endlich, möchte man sagen, weil CDU und CSU zwei Wochen damit verbrachten, sich über einen Sieg zu freuen, den sie nicht errungen hatten, und einem Kandidaten zu gratulieren, für den der 50. Breitengrad zur politischen Sperrzone wurde.

Allerdings denkt man in der Union nun weniger darüber nach, wie eine christliche Partei zu so marxistischen Grundannahmen über den wählenden Menschen kommen konnte. Stattdessen wollen einige das Ruder herumreißen und kulturell ganz mächtig aufholen. Aufgepasst, Grüne, Schwule, Singles, Frauen, Städter, die Union will euch holen kommen! Aber womit will sie locken? Damit, dass die Schwarzen künftig kulturell fast so rot-grün sind wie Rot-Grün?

Kein aussichtsreiches Verfahren. Und unnötig. Denn es spricht wenig dafür, dass in Deutschland eine rot-grüne Kulturrevolution stattgefunden hätte. So attraktiv ist das Milieu nun auch wieder nicht, nicht mal in den Städten. Nein, es ist umgekehrt: Irgendwas am Konservatismus der Union muss vielen Leuten missfallen haben, so sehr, dass sie Rot-Grün gewählt haben, obwohl sie lebensweltlich eher bürgerlich sind als alternativ, eher konservativ als progressiv.

Zweierlei passte vielen Wählern am Konservatismus der Union nicht. Zum einen erschien er ihnen zu sehr von gestern. Das lag hauptsächlich daran, dass Edmund Stoiber außerhalb von Bayern so wirkte. Er war nicht cool, er war nicht witzig, er hat keine Ironie – da ist es ganz verständlich, wenn man ihn der Vorgestrigkeit verdächtigte. Dieses Problem werden Angela Merkel und selbst Roland Koch in dem Maße wohl nicht haben. Der zweite Mangel ist nicht so leicht zu beheben: Die Union vertritt einen halbierten Konservatismus. Wie kann eine Partei, die von der Fehlbarkeit des Menschen überzeugt ist, an die Unfehlbarkeit der Technik glauben und Atomkraftwerke befürworten? Wie kann eine Partei, die von der Schöpfung spricht, die kommerziellen Interessen einer in Teilen verbonzten und von Tierliebe weit entfernten Bauernschaft gegen Verbraucherministerin Künast verteidigen? Wie kann einer Partei, für die christliche Nächstenliebe etwas bedeutet, sich so desinteressiert zeigen an Dritte-Welt-Problemen?

Der halbierte, man könnte auch sagen: bornierte Konservatismus der Union zieht kulturell vor allem eine Minderheit von Rechthabern an, von Leuten, die immerzu und immer wieder gegen die 68er siegen wollen, die sich ärgern, dass diese Typen jetzt regieren dürfen, die immer noch für AKWs sind, weil es in den 70er- und 80er-Jahren darum eine ideologisierte Auseinandersetzung gegeben hat. Diese Art von beleidigten Konservativen glaubt weiter, dass alles, was sanft, klein und weich ist, nur von Spinnern erfunden worden sein kann, vom Bioladen über das Windrad bis zum giftfreien Garten.

Einige in der Union reden seit der Wahl gern über schwarz-grüne Koalitionen. Das ist taktisch unklug und zum jetzigen Zeitpunkt schlichtweg überflüssig. Aber das Grüne endlich im Schwarzen zu entdecken, den eigenen Konservatismus zugleich zu modernisieren, zu vertiefen und zu vervollständigen, das könnte vielleicht interessant werden. Kulturell.

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