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Meinung: Der Herbst der Patriarchen

In Berlin gibt es eine rot-rote Koalition. In Sachsen steht Kurt Biedenkopf vor dem Rücktritt.

In Berlin gibt es eine rot-rote Koalition. In Sachsen steht Kurt Biedenkopf vor dem Rücktritt. In Sachsen-Anhalt wird in knapp drei Monaten gewählt. Was hat das alles miteinander zu tun? Nichts natürlich. Aber eine Verbindung lässt sich ziehen - sie ergibt sich aus den politischen Zielvorstellungen, mit denen die PDS Position für künftige Wahlen bezogen hat. Gestärkt durch den Berliner Coup richten sie sich nicht nur auf den Schritt nach Westen, sondern auch auf den Terrain-Gewinn im Osten ein. Denn die Erwartung, bei den Bundestagswahlen im Osten stärkste Partei zu werden, ist nur eine der Perspektiven, die sich ihr nach ihrer Aufwertung durch die Mit-Regierung in der deutschen Hauptstadt eröffnen. Die andere besteht in der Hoffnung auf einen Wandel der parteipolitischen Verhältnisse in den neuen Ländern, der sie in eine neue, einflussreiche Rolle bringen würde.

Ohnedies ist die politische Landschaft, die die neuen Länder seit der Mitte der neunziger Jahre prägte, in Veränderung begriffen. Zwar halten die Parteien jenseits der PDS - worauf Beobachter zu Recht immer wieder hinweisen - rund vier Fünftel der Wähler. Aber diese Struktur lebte in Sachsen und Thüringen von den absoluten Mehrheiten, die Kurt Biedenkopf und Bernhard Vogel errangen. Der Rückzug der beiden Vaterfiguren - Biedenkopf demnächst, Vogel später - wird diese Mehrheiten vermutlich erschüttern. Im Falle von Brandenburg hat Manfred Stolpe - trotz seiner überragenden Stellung im Lande - schon vor drei Jahren seine absolute Mehrheit verloren. In Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, wo es an solchen Persönlichkeiten fehlt, lief es auf Koalitionen hinaus - mit Beteiligung oder mit Duldung der PDS.

Die Perspektiven für künftige Wahlen sind so von Möglichkeiten umschattet, die ihre dramatischen Züge haben. In Sachsen und Thüringen ist die PDS inzwischen in den Landtagen die zweitstärkste Partei, in Thüringen nur knapp, in Sachsen dagegen in fast dramatischer Form - im dem ehemals roten, seit der Wende verlässlich schwarzen Land ist die SPD heute eine Zehn-Prozent-Partei, weniger als halb so groß wie die PDS. Die Turbulenzen um Biedenkopf haben die Umfragezahlen für die SPD nach oben getrieben, aber auch die der PDS. Verlöre die CDU nach Biedenkopfs Abtreten die absolute Mehrheit und käme es zu einer rot-roten Regierung, kann kein Zweifel bestehen, dass es in Dresden den ersten PDS-Regierungschef in der Bundesrepublik gäbe.

Auch in Sachsen-Anhalt hat, den Umfrageergebnissen zufolge, die SPD an Unterstützung verloren. Zwar ist das wirtschaftlich schwächste Ost-Land politisch ein Terrain, das für manche Überraschungen gut ist - vor vier Jahren war es der Schreckschuss DVU, diesmal könnte es das von den Umfragen signalisierte Wieder-Erstarken der CDU sein, der Wiedereintritt der FDP in den Landtag oder auch die Schill-Partei. Aber genauso gut kann sich aus dem bisherigen rot-roten Duldungsverhältnis dank der Schwäche der SPD und dem Auftrieb der PDS eine rot-rote Koalition ergeben, bei der nicht einmal sicher ist, wer das Sagen haben wird.

Hinter diesen Entwicklungs-Linien steht ein ganzes Bündel von Gründen: die miserable wirtschaftliche Lage, ein auch nach zehn Jahren noch nicht gefestigtes Parteien-System, dito eine hohe politische Wechselbereitschaft - und nicht zuletzt jener weit verbreitete Ost-Trotz gegen einen übermächtigen Westen, in dem die PDS ihren eigentlichen Rückhalt hat, jenseits aller politischer Argumente. Das alles macht die neuen Länder zu einem unsicheren Boden für alle Wahlkämpfer, erst recht für jene, die - ob Bayer oder Niedersache - aus dem fernen Westen zum Stimmengewinn zugeritten kommen. Ob hier die Bundestagswahl gewonnen wird, wie manche Auguren meinen, bleibt dahingestellt. Aber verloren werden kann die Wahl hier allemal.

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