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Meinung: Der Holzweg führt durchs Zwischengrün

Warten auf das Schloss: wie Berlin seine Mitte zum knallbunten Paradeplatz für die Eventkultur macht

Wer an der Berliner Bushaltestelle Lustgarten auf den 100er- Bus wartet, kann derzeit zusehen, wie dem Palast der Republik zu Leibe gerückt wird. Aller Zeichen, die auf seine Bedeutung für Freund und Feind verweisen könnten, ist er längst entkleidet, und man versteht, dass ein Haus eine Art Eigenleben erst im Moment seiner Zerstörung erhält, weil diese mit den Menschen das Leben daraus vertreibt. Als Ruine befindet sich der Palast der Republik jetzt im Zustand der Unschuld – wie jeder Todgeweihte.

Das kann einen melancholisch stimmen, muss aber nicht.

Man kann sich die Wartezeit auch mit zwei Übungen der eigenen räumlichen Einbildungskraft vertreiben. Bei der einen versucht man sich vorzustellen, der Palast der Republik sei schon weg. Was würde man sehen bei einem 180-Grad-Schwenk? Den Neubau der alten Kommandantur, die Friedrichswerdersche Kirche, die Zelt-Version der Bauakademie, das neue Außenministerium und die alte Reichsbank, das Staatsratsgebäude, die Schneise der Breiten Straße, den Neuen Marstall, die nun herbstliche Baumkulisse am Rand des Marx-Engels-Platzes, wie daraus entwachsend den Fernsehturm, im Winter durch das kahle Geäst ein bisschen Nikolaiviertel und mehr Rotes Rathaus. Beeindruckend diese Fülle, dieses Panorama!

Bei der zweiten Übung versucht man sich vorzustellen, das politisch gewollte „Gebäude in der Kubatur des Schlosses“ wäre schon da, anstelle des einst abgerissenen Berliner Hohenzollernschlosses. Dann würde man vor allem anderen die Fassade eines 180 Meter langen und 31 Meter hohen Gebäudes sehen. Gewaltig, diese Masse!

Aber will man so etwas wirklich sehen? Hatte man gerade vorher nicht sehr viel mehr Luft und sehr viel mehr gesehen von der Stadt? War dies zeitlich, räumlich und stilistisch diskontinuierliche Panorama nicht geschichtssatter und ästhetisch anregender, also auch urbaner, als es ein historisierendes Fassaden-Fake je sein könnte? Und sind nicht die räumlichen Weiten inmitten des hochverdichteten Stadtgewebes heute eine der großen Attraktionen Berlins, fast eine Art Alleinstellungsmerkmal, verglichen mit anderen Metropolen?

Politisch aber herrscht weitgehend Konsens darüber, dass an diese Stelle als point de vue einer feudalen städtebaulichen Achse ein Gebäude gehört, das nicht mehr der Palast der Republik sein darf. Man will auf etwas anderes schauen. Mitunter ist gar die Rede davon, hier schlage das Herz der Hauptstadt, was wiederum nur formal städtebaulich gemeint sein kann, denn politisch, das heißt so betrachtet, wie diese Achse mit ihrem point de vue seinerzeit unter den Hohenzollern gesehen wurde, schlägt das Herz der Hauptstadt im Spreebogen einen Kilometer weiter westlich. Und sozio-ökonomisch gesehen hat Berlin mehrere Herzen – und die schlagen alle woanders.

Wenn es nun König oder Kaiser nicht mehr sein können, die sich mit ihrem Schloss als End- und Höhepunkt einer Achse feierten, an der die aristokratischen Funktionsträger aufgefädelt waren, dann kann es nur jener historische Stadtgrundriss sein, der die feudale Hierarchie der Gesellschaft räumlich realisierte und der an dieser Stelle ein Schloss zeigt.

Wenn man allerdings selber und nicht als Konsensträger da steht, und wenn das innere Auge nicht durch den Filter des historischen Stadtgrundrisses, sondern selber sieht, dann erkennt man, dass ein „Gebäude in der Kubatur des Schlosses“ die eigene Blickachse versperren würde: als Störfaktor, der sich raumfüllend zwischen Auge und das durchaus bewundernswerte städtische Ensemble schöbe.

Seinerzeit entsprach die Besetzung des Stadtraumes dem politischen und gesellschaftlichen Machtanspruch und der faktischen Integrationskraft derer, die ihr Domizil so unübersehbar gravitätisch ins Blickfeld rückten.

Aber heute? Kann man sagen, dass der von den Schlossfreunden erstrebte Funktionshybrid aus kommerzieller Nutzung mit angeschlossenen Veranstaltungs-, Konferenz-, Kongress- und Museumsräumen sowie einem kleinen „Marktplatz des Wissens“ im Untergeschoss, dass eine Funktionsmischung dieser Art eine gesellschaftliche Integrationskraft entfalten wird, die auch nur annähernd an die der ehemaligen Schlossherren heranreicht? Kann man nicht – selbst wenn man den Mischmasch als „Humboldt-Forum“ bezeichnet.

Der einzige Bewohner, der eine vergleichbare gesellschaftliche Integrationskraft hätte und damit die städtebauliche Dominanz des großen Gebäudes rechtfertigen könnte, wäre König Konsum. Wenn man aus affirmativen oder aus kulturpessimistischen Gründen meint, der Konsum im weitesten Sinne – als Konsum von Waren (hauptsächlich) und Kultur – sei der große zeitgenössische Integrator, dann freilich ist ein „Gebäude in der Kubatur des Schlosses“ tatsächlich das Mittel der Wahl. Nur in diesem Fall entsprächen sich Größe und Positionierung des Gebäudes im angeblichen Herzen Berlins.

In der Konsequenz würde sich dann eine Shopping Mall anbieten, noch besser eine Theming Mall, die als Schloss für König Konsum und Hofschranze Kunde inszeniert würde – womit auch die historisierenden Fassaden verständlich begründet wären. Auch hätte man gleich eine Art Pionierbau für Kollhoffs Vision von „Berlin als neuem Las Vegas“.

Ein Investor in Niedersachsen führt gerade am Schloss von Braunschweig vor, wie man das macht, und die Schloss-Arkaden in Berlin-Steglitz zeigen, dass die architektonische Inszenierung feudaler Anmutung zu Einkaufszwecken Massen von Menschen anzieht, die auf der Straße sonst nie gesehen wurden. Als Shopping Mall wäre ein Gebäude in der Kubatur und mit den nachempfundenen Fassaden des Berliner Schlosses eine gelungene zeitgenössische Transformation des alten feudalen Machtanspruches, der mit seiner städtebaulichen Positionierung demonstriert wurde; genauer noch wäre es der logische Ersatz für den Palast der Republik.

Wenngleich etwas bescheidener dimensioniert, war auch er aus gut feudalen Gründen der point de vue. Als Mall erhielte ein Gebäude in der Kubatur des Schlosses tatsächlich eine gewisse städtebauliche Plausibilität und stünde darüber hinaus in einer historischen Kontinuität. Man hätte so eine funktionale städtebauliche Erklärung für den Abriss des Palastes der Republik – statt einer ideologischen städtebaulichen Erklärung, die den nostalgischen Blick auf Berlin scheinbar rationalisiert.

Aber möchte man sich gedanklich überhaupt in einer der beiden Erklärungswelten und real in einer der beiden Inszenierungen bewegen?

Lieber nicht. Lieber viel Luft und einen freien Blick auf das brüchige Panorama Berliner Stadtgeschichte ringsum.

Wenn man ein bisschen Zeit hat und auch den übernächsten Bus nehmen kann, ist noch eine dritte Übung möglich. Man versucht sich dann vorzustellen, was die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung im Sinn hat, wenn sie nach dem Abriss des Palastes der Republik eine „Temporäre Begrünung des Schlossplatzareals“ ins Auge fasst. Denn mit diesem Titel hat sie einen soeben entschiedenen Wettbewerb ausgelobt.

Es ging laut Ausschreibung um eine „Begrünung“, genauer um eine „Zwischenbegrünung“ des „freien Stadtraumes“. Nun sind Begrünung oder Zwischenbegrünung keine räumlichen Kategorien, sondern substantivierte Verben. Begrünen heißt, „etwas“, in diesem Fall das zukünftig freigeräumte Schlossplatzareal, mit pflanzlichem Material grün zu machen. Wobei die Betonung auf „machen“ liegt, denn grün wird jede Brache innerhalb kürzester Zeit von selbst.

Man könnte also sagen, dass der „Zwischenbegrünung“ des Schlossplatzes stadtentwicklungspolitisch ungefähr der Stellenwert zukommt, den das Graffitimuster auf den Polsterbezügen der S-Bahn hat; wie dieses dem Vandalismus, so soll jene der „natürlichen Sukzession“ zuvorkommen.

Keine Frage, dass die Landschaftsarchitekten hier weit unterhalb ihrer professionellen räumlichen Kompetenz angesprochen wurden – und leider geantwortet haben: statt das Begrünen den Gärtnern des Bezirksamtes Mitte zu überlassen.

Erwartungsgemäß bereiten alle prämierten landschaftsarchitektonischen Entwürfe lediglich den Boden für die politisch anvisierte eigentliche Zwischennutzung bis zu einem Baubeginn. Vollkommen frei von jeder räumlichen Qualität legen sie ihre tapis verts aus, die sich nur in der Oberflächenbehandlung unterscheiden und laut Ausschreibung zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen sollen: Sie müssen der „Bedeutung des Ortes“ angemessen sein und gleichzeitig unbegrenzt aufnahmefähig für allerlei kulturelle Aktivitäten in der grellbunten Berliner Mischung sowie für eine Info-Box zu jenem als „Humboldt-Forum“ erträumten, finanziell bis heute völlig ungesicherten zukünftigen Gebäude.

Den Sieg davongetragen hat ein über einen Rasenteppich gelegtes Gerüst aus Holzstegen, weil es die riesige plangrüne Fläche in nutzungsoffene Teilbereiche gliedert und gleichzeitig den Blicke auf die Stadtkulisse ringsumher lenkt (relais Landschaftsarchitekten, Berlin und momentum3, Hannover). Eine in jeder Hinsicht perfekte Antwort auf die absurde Aufgabenstellung, einen Strapazierrasen als grünen Teppich der Eventkultur auszurollen und zugleich der beschworenen historisch-kulturelle Bedeutung des Ortes in Vergangenheit und Zukunft zu entsprechen. Das Ergebnis: Man ist auf dem Holzweg und sieht trotzdem alles!

Die fragwürdige Unterordnung der Landschaftsarchitekten unters Diktat der flächigen Begrünung hat allerdings einen ästhetischen Mehrwert: Steigt man ein in ihre Perspektiven, gerät man ins Taumeln auf ihren zugigen grünen Weiten, weil die umstehenden Inkunabeln der Stadtgeschichte zu weit entfernt sind, um als Raumkanten erfahrbar zu werden. Gerade deshalb aber sucht man sie, um Halt zu finden und sich zu orientieren, und sieht so mit eigenen Augen, dass dieser Ort nur als freier Raum die Mitte des historischen Berlins wäre. Dazu müsste er freilich als nach oben offenes räumliches Volumen entwickelt und nicht nur mit grünem Teppich belegt werden.

Eben diese Überlegung unterscheidet die Entwürfe der prämierten Landschaftsarchitekten vom Konzept der Zweitplatzierten (urban catalysts, Berlin), die sich der ausgeschriebenen Begrünung verweigern – weil es sich um Architekten handelt? – und so als Einzige den Schlossplatz als räumliches Volumen entwickeln möchten. Ihre hierfür vorgesehene allseits offene Halle aus Lichtstelen wirkt gleichwohl zu introvertiert, ist weniger interessiert an der Wahrnehmung des städtischen Umfeldes als auf das gerichtet, was an inszeniertem urbanem Leben in ihrem Innern irgendwann stattfinden soll.

Mit dem Holzgerüst auf Strapazierrasen hätte (das offizielle) Berlin das, was es wollte. Öffentliche Empörung und Unverständnis angesichts der Wettbewerbsergebnisse machen den Bock zum Gärtner. Denn die Idee einer bespielbaren Zwischenbegrünung des Schlossplatzareals plus Info-Box ist nur die Folge eines stadtentwicklungspolitischen Konzeptes, das mit ideologisch verengtem Blick auf einen historischen, verloren gegangenen Stadtgrundriss starrt.

Weil sich das Schlossfassaden-Konzept mangels Geld und funktionaler Baumasse bis auf Weiteres nicht realisieren lässt, braucht es die kontrollierte Zwischennutzung: Im Namen der Stadtbildpflege einer nicht vorhandenen Stadt wird so ein bedeutender Stadtraum mit begleitendem Infotainment in die Warteschleife geschickt.

Die Aufgabe der Wettbewerbsgewinner besteht nun darin, diese gesellschaftspolitische und urbanistische Absurdität kostengünstig hübsch grün zu machen. Da aber wäre nach dem Palastabriss die sich selbst begrünende Brache einfacher und billiger. Denn auch billig wird es bei der Zwischenlösung teuer.

Höchste Zeit, dass der Bus kommt.

Gabriele Schultheiß

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