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Meinung: Der Kärrner von Potsdam

Matthias Platzeck hat sich im ersten Jahr als Ministerpräsident weise zurückgehalten

Manche wundern sich, andere beklagen es: Vor einem Jahr wurde Matthias Platzeck Ministerpräsident von Brandenburg – als Kanzler-Liebling und sozialdemokratischer Hoffnungsträger; seither ist es ruhig um ihn geworden. Keine Schlagzeilen, keine spektakulären Vorstöße. Wer auf die junge frische Stimme aus dem Osten in den großen Debatten dieser Republik, im Streit zwischen Rot-Grün und der Opposition um die Gesellschaftsreform gehofft hatte, könnte enttäuscht sein. Ein Auftritt als „Frauenversteher" bei Beckmann, wo es um private Gefühle ging, ein Grundsatzartikel in der „Frankfurter Rundschau", was der Westen vom Osten lernen müsse. Das war’s.

Doch sollte man den 49-jährigen machtbewussten Regierungschef nicht unterschätzen. Hinter der öffentlichen Zurückhaltung des Bundespolitikers Platzeck – er ist Mitglied im Parteivorstand und als Ministerpräsident auch im Präsidium – steckt Kalkül. Um das vom Fürsorger Manfred Stolpe geprägte Brandenburger Haus ist es nicht gut bestellt: Rekordverschuldung, Rekordarbeitslosigkeit, Rekordflucht aus verelendenden Randregionen – und zugleich ein kaum finanzierbares soziales Netz, ein aufgeblähter Staatsapparat, ein Kindertagesstätten-Standard und eine Bürokratie wie zu DDR-Zeiten. Hinzu kommt: Die Stimmung ist mies, was die erfolgsverwöhnte SPD bei den Bürgermeister-Wahlen 2002 zu spüren bekam.

In den Umfragen schneiden die Sozialdemokraten so schlecht wie noch nie ab, was freilich auch eine Folge des Bundestrends ist. Der ehrgeizige und umtriebige Vizeregierungschef Schönbohm und seine CDU sitzen der SPD im Nacken. Und nur noch ein Jahr bis zur nächsten Landtagswahl. Zwar ist Platzeck der populärste Politiker Brandenburgs. Aber er steckt in einem Dilemma: Will er nicht als Überflieger gelten, muss er überfällige Kärrnerarbeit leisten, harte Schnitte vornehmen, das Land und seine Finanzen auf gesunde Füße stellen. Es geht um mehr als Streichlisten. Es geht um einen grundsätzlichen Struktur- und Mentalitätswechsel. Ein solcher Umbruch ist nicht populär. Platzeck muss die Märker überzeugen, dass es keine Alternative dazu gibt.

Nur wenn ihm das gelingt, kann er seine erste Landtagswahl als Spitzenkandidat trotz des Bundestiefs seiner Partei gewinnen. Und wenn nicht? Die Vorstellung, dass er als Juniorpartner unter Schönbohm ins Kabinett einzieht, ist absurd. Zwar könnte er, wenn die CDU vorn läge, mit der kränkelnden PDS regieren. Aber sein Ruf als sozialdemokratischer Hoffnungsträger wäre arg lädiert. Schwer vorstellbar, dass er dann noch ernsthaft als Schröder-Nachfolger in Betracht käme. Wie schnell Durchstarter verbrennen können, zeigt das Beispiel Sigmar Gabriel, einst neben Platzeck als potenzieller Kanzlerkandidat gehandelt. Gabriel stellte sich gegen den Kanzler, produzierte bundespolitische Schlagzeilen – und verlor die Wahl in Niedersachsen trotzdem.

Platzeck macht diesen Fehler nicht. Er drängt sich nicht ins Rampenlicht, geht nie öffentlich auf Gegenkurs zu Schröder – der wohl gerade deshalb auf ihn hört. Mit seiner öffentlichen Enthaltsamkeit verbaut Platzeck sich nichts, im Gegenteil. Kluge Machtpolitiker zeichnen sich dadurch aus, dass sie zur richtigen Zeit auf den richtigen Schlachtfeldern kämpfen. Will er im Bund ernst genommen werden, muss er das Brandenburger Haus sanieren und die Landtagswahl gewinnen. Dass er die schwierige große Koalition mit dem impulsiven und älteren Schönbohm zusammenhalten kann, hat er bewiesen. Dass er für Ehrlichkeit in der Politik steht, ebenfalls. Besteht er die Potsdamer Bewährungsprobe, ist Platzeck auch in der Bundespolitik alles zuzutrauen.

Michael Mara

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