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Meinung: Der Lack ist ab

Von der Türkei kann die EU vorerst keine Reformen mehr erwarten

Die Luft wird dünner für den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Seit dem Wahlsieg seiner Regierungspartei AKP im November 2002 wurde er von innen- und außenpolitischen Erfolgen verwöhnt. Doch nun muss er mit einer Reihe von Rückschlägen kämpfen. Sein Finanzminister Kemal Unakitan soll so tief in Korruptionsaffären verwickelt sein, dass selbst Parteifreunde dessen Rücktritt fordern. Erdogans religiöse Wähler sind enttäuscht, weil das Kopftuchverbot immer noch nicht gefallen ist, in der Europapolitik geht auch nichts voran. Im kommenden Jahr stehen Parlaments- und Präsidentenwahlen an. Große Lust auf neue Reformprojekte hat in Ankara deshalb niemand.

In den ersten Jahren der Erdogan-Regierung jagte ein Reformpaket das andere: mehr Meinungsfreiheit, weniger Machtbefugnisse für die Militärs, mehr Rechte für die Kurden. Gleichzeitig wurde die Sanierung der zerrütteten Staatsfinanzen auf den Weg gebracht. Jetzt aber scheint der Regierung die Puste ausgegangen zu sein.

Die Bekämpfung der Folter bleibt stecken, die Arbeitslosigkeit verharrt trotz des rapiden Wirtschaftsaufschwungs der vergangenen Jahre bei zehn Prozent. Und als Gipfel des Problembergs heißt es nun, Finanzminister Unakitan habe bei Privatisierungen gemauschelt, illegale Bauprojekte betrieben und den Unternehmen seiner Kinder Vorteile zugeschanzt.

Noch muss Erdogan nicht um die Macht fürchten. In Umfragen liegt die AKP weit vor allen anderen Parteien. Die Türken würden sie heute wahrscheinlich wieder an die Macht wählen, doch diesmal nicht aus Begeisterung, sondern aus Mangel an Alternativen.

Heftiger als in der Bevölkerung rumort es indes in Erdogans eigener Partei. Nicht nur wegen Unakitans Eskapaden steigt die Unzufriedenheit in der AKP, die 2002 als Partei der Saubermänner angetreten war. Die AKP ist ein Bündnis sehr unterschiedlicher Kräfte. Der islamistische Flügel unterstützte lange Zeit Erdogans Europapolitik, weil er sich von der EU Erleichterungen etwa in der Kopftuchfrage versprach. Spätestens seit der Bestätigung des Kopftuchverbots durch das Straßburger Menschenrechtsgericht sind diese Hoffnungen allerdings zerstoben.

Der rechte Flügel der AKP steht Europa ohnehin skeptisch gegenüber. Nun verfestigt sich der Eindruck, dass die EU an die Türkei immer neue Forderungen stellt, ohne dass das Land irgendwelche Vorteile davon hätte. Das zeigt sich etwa am Zypernproblem: Hier liegt der schwarze Peter nach türkischer Auffassung ganz klar bei den griechischen Zyprioten, weil sie beim Referendum 2004 die Wiedervereinigung der Insel ablehnten – und doch verlangt die EU von der Türkei, sie solle bis Ende des Jahres ihre Häfen für griechisch-zypriotische Güter öffnen.

Die Aussicht auf das Wahljahr 2007 wird die Kompromissbereitschaft in Ankara nicht steigern. Besonders die Präsidentenwahlen sind von immenser Bedeutung, denn sie dürften zu einem Machtkampf zwischen dem religiös-konservativen Lager Erdogans und der kemalistischen Elite werden. An Europa denkt da niemand mehr.

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