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Meinung: Der Papst und die schlauen Kinder

Die Kirche muss ihr Verhältnis zur Wissenschaft ändern

Alexander S. Kekulé Geht mit Euren Kindern in die Kirche!“, so lautete die wichtigste Botschaft des Papstes. Als Maßnahme gegen die anhaltende Kirchenflucht ist der Ratschlag klug gewählt: Die Entwicklungspsychologie bestätigt, dass frühkindlich geprägte Welt- und Wertbilder meist ein Leben lang halten. Was aber sollen Eltern antworten, wenn Sechsjährige fragen, ob Gott wirklich die Welt in einer Woche erschaffen hat, wo es doch den Urknall gab? Oder ob zu Weihnachten wirklich das Christkind kommt? Sollen sie sagen, dass der Pfarrer lügt? Oder der Bibel recht geben – also selber lügen, was eine Sünde ist?

Umgekehrt monierte der Papst gestern zu Recht, dass ein Teil der Wissenschaft emsig daran arbeite, „eine Welterklärung zu finden, in der Gott überflüssig wird“.

Widersprüche zwischen Kirche und Wissenschaft – sie sind nicht neu. Früher löste die Kirche solche Fragen bekanntlich mit Feuer, Schwert und Folter. Der Philosoph Giordano Bruno kam 1600 in Rom auf den Scheiterhaufen, weil seiner Meinung nach der Weltraum und die Zeit unendlich waren. Galileo Galilei durfte nicht mehr behaupten, dass die Erde um die Sonne kreist. Im 19. Jahrhundert argumentierten Kirchenvertreter gegen die Einführung der Straßenbeleuchtung, weil damit die göttliche Ordnung von Tag und Nacht gestört werde. Auch moderne Wissenschaftler wie Charles Darwin und Sigmund Freud waren Angriffen der Kirche ausgesetzt. Wie der Physiker Stephen Hawking kolportiert, warnte der frühere Papst die Teilnehmer einer Tagung noch im späten 20. Jahrhundert davor, den Urknall zu erforschen, denn dieser sei ein Werk Gottes.

Vor diesem Hintergrund fällt es schwer, die umstrittenen Verbote von Verhütungsmitteln, therapeutischen Klonen und Kondomen zu akzeptieren. Um im 21. Jahrhundert nicht weiter an Kraft zu verlieren, muss das Christentum sein Verhältnis zur Wissenschaft reformieren. Dazu gehört zuvorderst das Eingeständnis, dass die Schlacht um die Deutungshoheit der dinglichen Welt verloren ist. Früher konnte die Kirche ihre (wissenschaftlich) unwahren Behauptungen wie das geozentrische Weltbild, die biblische Schöpfungsgeschichte, die jungfräuliche Empfängnis, das Weiterleben nach dem Tode und die Auferstehung Jesu noch mit Gewalt gegen die Naturwissenschaften durchsetzen, als diese in den Kinderschuhen steckten und selbst voller Widersprüche waren. Heute ist das wissenschaftliche Weltbild in weiten Teilen geschlossen und unbestritten. Die allgegenwärtige Technik im Alltag des Menschen, seine Körperfunktionen und sogar juristische Entscheidungen (etwa die Beweisführung bei Mordprozessen) folgen Naturgesetzen. Sich ihnen ohne wissenschaftliche Begründung entgegenzustellen, ist sinnlos und gefährlich.

Der selbst verschuldete Verfall des christlichen Einflusses wäre tragisch, weil die Menschen gerade in einer pluralistischen und globalisierten Gesellschaft stabile, friedfertige Wertesysteme brauchen. Die für deren Begründung wichtigen Fragen zeichnen sich dadurch aus, dass sie von den Naturwissenschaften gerade nicht beantwortet werden: Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Die wissenschaftliche Tatsache, dass der Mensch aus Atomen besteht, die einmal in Kernreaktionen der Sterne entstanden, mag für Physiker romantisch klingen. Mit seinen typisch menschlichen Fragen nach Gut und Böse, nach Schönheit und Hässlichem, nach Sinn und Ziel der Welt bleibt der Mensch jedoch alleine.

Diese teleologischen Fragen sind die eigentliche Domäne des Glaubens und der Kirchen. Ihre Antworten können nicht aus der wissenschaftlichen Realität, sondern nur aus dem menschlichen Erleben hergeleitet werden. Teleologische Erklärungen stehen nicht in Konkurrenz zu wissenschaftlichen, sondern komplementieren sie. Statt sich mit den Naturwissenschaften anzulegen, täte die Kirche gut daran, ihre Erkenntnisse als Glaubensgewissheiten zu verstehen, die keiner wissenschaftlichen Begründung bedürfen.

Wenn die Bibel nicht das unfehlbar wahre „Wort Gottes“ sein müsste (wie es die katholische Kirche vertritt), sondern als Werk von Menschenhand symbolisch verstanden werden dürfte, hätte sie den Menschen auch im 21. Jahrhundert noch viel zu sagen. Und den Kindern könnten wir antworten, dass die Geschichte vom Christkind ein schönes Märchen ist, in dem eine geheime Botschaft versteckt ist – die erfährt aber nur, wer ein bisschen daran glaubt.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Molekulare Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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