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Meinung: Der Premier und sein Richter

Tony Blair wird von Lord Hutton freigesprochen – gestraft ist er dennoch

Die britische Königin sprach einmal von einem „annus horribilis“. Für Tony Blair, den Premierminister desselben Landes, sind gerade zwei Tage zu Ende gegangen, die er vermutlich zu den schrecklicheren seiner Regierungszeit zählen wird. Sie sind vorbei, und Blair ist, wie er vorausgesagt hatte, noch immer im Amt. Das ist ein großer Erfolg.

Doch für einen Mann, der 1997 angetreten war, um aus dem britischen Traditionstempel ein modernes „Cool Britannia“ zu machen und dabei der europäischen Sozialdemokratie ein neues ideologisches Rückgrat einzuziehen, waren es zwei kraftzehrende Tage: Im Parlament ließen ihn die eigenen Parteigenossen in den Abgrund schauen, die achtunggebietende Mehrheit von 161 Abgeordneten schmolz bei der Abstimmung über die Studiengebühren auf fünf zusammen. Und der Hutton-Bericht spricht Blair, in einer für viele überraschenden Eindeutigkeit, von dem Vorwurf frei, gelogen zu haben.

So weit ist es also mit Tony Blair und seinem Mythos „New Labour“ gekommen, dass eine Nicht-Niederlage im House of Commons und das richterliche Attest der Nicht-Lüge schon als Erfolg gelten können. Lange hatte Blair von der professionellen Inszenierung einer Politik profitiert, der die Botschaft eingeschrieben war: Zu diesem Projekt und zu diesem Premier gibt es keine Alternative. Das ist, nach diesen Tagen, anders.

Ohne Gordon Brown, den trägen, zwischen Neu- und Alt-Labour schwankenden Schatzkanzler, hätte Blair die Abstimmung am Dienstagabend vermutlich nicht überstanden. Brown brachte zum Beispiel den Hauptrebellen zurück ins Regierungslager. Die Traditionalisten in der Partei, die lieber heute als morgen den Schatzkanzler zum Premier machen würden, sehen im knappen Ausgang deshalb den Anfang vom Ende des Tony Blair. Doch gerade das knappe Ergebnis machte auch die Grenzen von Browns Einfluss auf die Linken in der Partei deutlich. Das Fazit ist ein anderes: Die Fraktion ist wieder unberechenbarer geworden – und das ist schlecht für jeden Partei-Führer. Der radikale Umbau des Landes, Teil der New-Labour-Ideologie, wird sich angesichts dieser Machtverschiebung verlangsamen.

Der Hutton-Report wurde oft als Votum über den Irakkrieg missverstanden. Hutton urteilte lediglich über einige Detailfragen im Streit zwischen der BBC und der britischen Regierung. Tony Blair, der sich früh auf die Seite von George W. Bush gestellt hatte, steht dort noch immer. Um Großbritannien nicht vollkommen zu isolieren, musste er dem Wunsch Deutschlands und Frankreichs nach einer europäischen Armee nachgeben. Seine Position in Europa hat sich durch den Bericht kaum verbessert – dort spricht ihn in Sachen Irakkrieg keiner frei. Das zeigt, dass der Visionär des Dritten Weges auch außenpolitisch an Spielraum verloren hat.

Tony Blair war schon vor diesen beiden „schrecklichen“ Tagen sichtlich gealtert, dazu kommen Herzrhythmusstörungen. Die jugendliche Unbefangenheit ist ihm abhanden gekommen, auch die Aura der Unfehlbarkeit. Er ist ohne Frage politisch schwächer als je zuvor – und gleichwohl noch kein Mann der Vergangenheit. Das wichtigste Projekt des Jahres, das Gesetz über die Studiengebühren, ist erledigt, der Kampf gegen die BBC triumphal gewonnen. Blairs Mut (oder Übermut), in dieser Situation das Hochschulsystem dramatisch neu zu gestalten, sollte allen eine Warnung sein, die noch vor der Wahl im nächsten Jahr mit einer Ablösung Blairs rechnen. Die beiden Tage waren schrecklich, aber viel weniger schrecklich, als sie hätten sein können.

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