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Der Rücktritt: Horst Köhler: Verlacht, gehetzt, erlegt

Horst Köhler war das erste Opfer, das schwächste Gnu auf der Steppe. Die deutsche Medienlandschaft erinnert in ihrer Empathiearmut an eine alte Hooligan-Devise.

Die Jagdmeute leckt sich zufrieden das Blut von ihren Pranken. Sie hat ihr Opfer verlacht, verspottet, gehetzt und schließlich erlegt. Nun liegt es da und krümmt sich, und die Jagdmeute höhnt: Steh auf! Warum machst Du nicht weiter? So ist nun mal das Spiel.

Am Tag nach dem Rücktritt des Bundespräsidenten titelt die „tageszeitung“: „Da geht noch mehr“. Dazu zeigt sie ein Bild von Guido Westerwelle, Angela Merkel und Horst Köhler. Die Botschaft ist klar. Köhler war der erste, das schwächste Gnu auf der Steppe. Weitere Gnus sollen folgen. Köhlers Fall hat die Jagdmeute noch munterer gemacht. Ein Kommentator der Zeitung meint zu dem Abgang: „,Heul doch!’“, möchte man ihm zurufen.“ Auch die „Süddeutsche Zeitung“ ist nicht zimperlich. Köhler wirke „wie ein Sponti: der Null-Bock-Horst“. Und so erinnert die deutsche Medienlandschaft in ihrer Empathiearmut an die alte Hooligan-Devise: Immer eins in die Fresse, und wenn er fragt, warum, noch eins für die dumme Frage.

Für Köhler, das gehört zur Geschichte dazu, gab es kein Entkommen mehr. Im Volk mochte er sämtliche Popularitätswerte erklimmen, die politische Kaste drosch auf ihn ein. Den immanenten Widerspruch im Amt – keine Macht zu haben, aber groß reden zu müssen – kostete sie weidlich aus. Also ließ man ihn reden und beschwerte sich anschließend darüber, dass seinen Reden nichts folgte. Gegen diese Logik kann keiner gewinnen.

Nun ist Bundespräsidentenreden fast noch nie etwas gefolgt. Am wenigsten den berühmten Ruckreden. Aber für Köhler kam erschwerend hinzu, dass er sich mit der Zeit nur noch schwer instrumentalisieren ließ. Den Linken war er zu wenig Anti-Merkel, den Rechten zu wenig konservativ. Seine Haltung wurde ihm als geistige Heimatlosigkeit verübelt. Respekt vor dem Amt? Die hatte am Ende tatsächlich keiner. Vielleicht noch nie gehabt. Der Respekt, auch als politische Tugend, ist den meisten ohnehin abhanden gekommen.

Das gilt für den Ex-Präsidenten wie für die Kanzlerin, den Außenminister oder den Papst. Köhler konnte nicht reden, Merkel kann nicht führen und hat keine Prinzipien: Solche Urteile werden im Stakkato-Rhythmus gefällt und gegen alle Realitäten verteidigt. Merkel mag sich gegen Kohl, Koch und Merz durchgesetzt, zwei Bundestagswahlen gewonnen, Obamas Forderung nach einem zweiten Konjunkturpaket widerstanden, in der Eurorettungsaktion den IMF eingebunden und der FDP die Steuersenkung ausgetrieben haben: Sie setzt sich einfach nicht durch. Sie mag den Dalai Lama im Kanzleramt empfangen, die Menschenrechte in Russland und China einfordern, aus der Klimapolitik ein Herzensanliegen machen und sich leidenschaftlich zu Israels Sicherheit bekennen: Sie hat keine Prinzipien.

Und weil das alles so sein muss, finden sich in deutschen Zeitungen niemals solche Überschriften, selbst wenn sie stimmen sollten: „Köhler hält gute Rede zu…“; „Merkel zeigt im Streit um…erneut Führungsstärke“; „Westerwelle macht interessanten Vorstoß zur sozialen Gerechtigkeit“; „Ackermann spendet großzügig an Bedürftige“; „Papst Benedikt kämpft engagiert gegen den Werteverfall“. Was nicht sein darf, das nicht sein kann.

Ein Trost bleibt den Gejagten: Die Meute hetzt sie zwar, aber sie meint sie nicht. In der Krise wird keine Regierung geliebt. Von Obama über Sarkozy bis Merkel trifft die Verachtung alle gleich. Mit sich und der Welt hadernd will man die Opfer aus Wut erlegen, aber nicht, um Wandel zu erzeugen, sondern nur, um neue Opfer zu haben. In Deutschland ist Sigmar Gabriel als Alternative zu Angela Merkel ungefähr so vorstellbar wie Sarah Palin in den USA als Alternative zu Barack Obama.

Das nicht bedacht zu haben, ist das einzige, was man Horst Köhler vorwerfen kann.

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