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Meinung: Der Sieg in der Niederlage

Warum Angela Merkel Fraktionschefin der Union werden will – und muss

Von Bernd Ulrich

Man kann menschlich durchaus nachvollziehen, dass es der Union schwer fällt, ihre Niederlage zu akzeptieren. Die Nacht war lang, und mehrmals sahen sich die Christdemokraten als Sieger. Schwarz-Gelb hätte gewinnen oder Edmund Stoiber Kanzler einer Großen Koalition werden können. Langsam nur kriecht ihnen ins Bewusstsein, was zum Schluss wirklich geschehen ist: Die Union wird nicht regieren, sie wird nicht stärkste Fraktion, und Rot-Grün wird nicht mit hauchdünner Mehrheit am Rande des Abgrunds entlang regieren müssen.

Am gestrigen Tag war die Seele der Union bei diesen harten Fakten noch nicht angelangt. Stoiber will jetzt erstmal als Kanzler der besseren Deutschen nach Washington reisen, um dort die Irak-Scherben zu kitten. Darauf wird man dort sehnsüchtig warten. Und wenn er wieder da ist, dann will sich Stoiber als Dauer-Kanzlerkandidat bereit halten, um in – spätestens! – zwei Jahren die sicher ganz und gar marode rot-grüne Regierung zu stürzen. Auch hier kann es sich nur um eine Verwechslung handeln. Wenn die neu-alte Regierung an der Übermacht der Probleme scheitert, dann wird es eine Große Koalition geben, in der die Union der kleinere Partner wäre und Stoiber kein Kanzler werden dürfte.

Ein bisschen gespenstisch wirkt dieses Niederlagen-Leugnen schon. Es erinnert fatal an 1969, als die Union den Machtverlust schon einmal als Missverständnis missinterpretierte. Gut, dass die Partei Angela Merkel hat, mit ihrem klirrenden, fast repressiven Realismus. Unter ihrem Druck traf die Union immerhin eine kalt-vernünftige Entscheidung und richtet sich in Wahrheit doch auf vier lange Jahre Opposition ein: Die CDU-Chefin übernimmt auch noch den Fraktionsvorsitz. Damit wird das Drama der letzten Jahre beendet, als Merkel und Merz schon durch die Ämterteilung in eine beinharte, unschöne Konkurrenz getrieben wurden. Die hat der Union insgesamt geschadet.

Friedrich Merz war so klug, der Machtprobe aus dem Weg zu gehen. Merkels tastender Politikstil, der stets die Mitte sucht, hätte in einer Kampfabstimmung zwar nicht unbedingt die stärkeren Bataillone gehabt. Doch wollte eben niemand diesen Machtkampf. Oder konnte ihn nicht wollen wie die CSU. Den von Natur aus rauflustigeren und konservativeren Bayern hätte Merz als Fraktionsvorsitzender wohl besser gefallen. Nur saß der CSU-Vorsitzende Stoiber am gestrigen Tag so fest in Merkels Loyalitätsfalle wie die Fliege im Honig. Er konnte nicht anders, als sie zu stützen, wollte er nicht als Ausbund von Undankbarkeit gelten. So hatten am Tag nach der Niederlage Merkel wie Stoiber etwas davon: Er die Illusion von fortdauernder Kanzlerkandidatur und ungeschmälerter Macht – sie tatsächlich mehr Macht als je und eine gute Aussicht auf die Kanzlerkandidatur in vier Jahren.

Damit ist die Union auf einen Kurs der Mitte festgelegt, der auch der Weg der Konturlosigkeit sein kann. Denn Angela Merkel verwendete ihre Coolness und Intelligenz bisher mehr auf Macht- als auf Programmfragen, mehr auf die Vivisektion politischer Freunde wie Gegner als auf Visionen für Deutschland. Vielleicht aber ändert sich das nun, da sie sehr weit oben angekommen ist. Vielleicht wird sie in Zukunft nur ganz selten mal an Roland Koch denken.

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