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Meinung: Der Trend ist verflossen, Genossen

Die SPD rechnet sich den Wahltag schön – aber in NRW kommt die Stunde der Wahrheit

Da kann Heide Simonis reden wie sie will – dieser Wahlsonntag war auch für sie persönlich ein Debakel. Was helfen die berauschenden Sympathiewerte, die sie auf der Beliebtheitsskala weit über ihren Gegenkandidaten Peter Harry Carstensen hinausgetragen haben, wenn der am Ende die Nase vorne hat? Nein, diese Niederlage bleibt an ihr haften, ungeachtet aller Bundeseinflüsse. Sie hat die Blamage mit verschuldet. Daraus könnten andere Wahlkämpfer lernen – eine direkte Linie führt von Schleswig-Holstein nach Nordrhein-Westfalen, wo in 90 Tagen gewählt wird.

Lehre Nummer eins ist, dass sich die Wähler in Zeiten großer Krisen – und Deutschland steckt in einer großen Krise – offensichtlich über Polemiken ärgern. Simonis hat den vier Jahre jüngeren CDU-Spitzenkandidaten Carstensen behandelt wie einen gutmütigen Trottel, der in der Rentnerband gerade noch die Triangel schlagen darf. FDP-Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki stand ihr an Arroganz nicht nach, als er fast in letzter Minute und unter dem Eindruck jüngster Meinungsumfragen statt der CDU plötzlich auch noch die SPD für koalitionswürdig erklärte.

Als Simonis’ Pech erwies sich, dass der angeblich so minder bemittelte Carstensen die Ministerpräsidentin beim Fernsehduell am letzten Mittwoch plötzlich sehr alt aussehen ließ. Und der wendige Kubicki stand schon vorher unter Generalverdacht, sich je nach Stimmenlage umzuorientieren.

Beides schlug sich nieder, denn, Lehre Nummer zwei, die Wähler entscheiden sich heute nicht mehr viele Wochen vor der Wahl, sondern oft in den letzten Tagen oder Stunden. Carstensen kam das zugute: Er punktete mit seinem Fernsehauftritt, gewann Sympathien wegen der gegen ihn gerichteten persönlichen Herabsetzungen, und er zog in nennenswertem Umfang Stimmen direkt von der FDP zur CDU, Stimmen von Wählern, die den Machtwechsel in Kiel wollten und zweifelten, ob Kubickis FDP noch dafür stand.

Die Wählerwanderung von der SPD zur CDU kann man hingegen, anders als die schlechte Wahlbeteiligung, nicht der insgesamt eher erfolglosen Politik von Frau Simonis anlasten. Das war der Einfluss der Bundespolitik. Schleswig-Holstein ist der westdeutsche Flächenstaat mit der höchsten Arbeitslosigkeit. Wenn dann die Januarzahlen auf über fünf Millionen hochschnellen und in Berlin die gleiche politische Farbkombination an der Macht ist wie in Kiel, kommt niemand auf den Gedanken, seine Zukunft ausgerechnet in die Hände von Rot-Grün legen zu wollen. Das ist Lehre Nummer drei.

Und dann noch die Visa-Affäre. Ob in deren Folge die Prostitution zunahm, berührt den Durchschnittsbürger wenig. Aber durch die fahrlässigen Einreisebestimmungen kamen vermutlich auch tausende von Schwarzarbeitern ins Land. Alles aber, was mit Arbeit und Nichtarbeit zu tun hat, ist traditionell ein sozialdemokratisches Thema. Das erklärt, warum die Grünen auch von dieser Krise fast unberührt blieben.

Nun wird der Südschleswigsche Wählerverband, SSW, zum Zünglein an der Waage, wie schon einmal, 1987, als der SSW kurz vor Aufdeckung der später nach diesem mitbenannten Affäre Uwe Barschel und der FDP nicht zur parlamentarischen Mehrheit verhelfen wollte. Die Politik in Schleswig-Holstein dürfe nicht von einem Dänen bestimmt werden, tobte seinerzeit Franz Josef Strauß. Heute fordert Roland Koch eine „ernste Debatte darüber, … ob eine nationale Minderheit einen Wahlsieg ins Gegenteil verkehren kann“. Was schon damals dummes Zeug war, ist heute nicht klüger. Die Abgeordneten des SSW haben keine Mandate zweiter Wahl, sie dürfen unterstützen, wen und was immer sie für politisch opportun halten.

Und damit sind wir in Nordrhein-Westfalen und bei der Frage, ob der Zukunftstrend wirklich wieder die Farbe Rot trägt, wie Klaus-Uwe Benneter meint. Nein, der Trend ist bestenfalls schamrot. Denn anders als Heide Simonis hat Peer Steinbrück keinen persönlichen Bonus, der auch dann trägt, wenn alles gegen die SPD spricht. Und an Rhein und Ruhr gibt es keinen SSW, der in der Stunde der Not aushelfen kann.

Gerd Appenzeller

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