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Meinung: Der Wahnsinn hat Methode Nazi-Vergleiche vergiften die deutsche Politik

Offenbar liegt etwas Zwanghaftes in dem deutschen Hang, den politischen Gegner durch den Vergleich mit der Nazi-Zeit – oder anderen Diktaturen – zu denunzieren. Ludwig Stieglers aberwitzige Behauptung, die CDU-Parole „Sozial ist, was Arbeit schafft“ erinnere ihn an die zynische KZ-Überschrift „Arbeit macht frei“, fügt sich nämlich ein in eine Reihe von ähnlichen Erinnerungsvergleichen.

Offenbar liegt etwas Zwanghaftes in dem deutschen Hang, den politischen Gegner durch den Vergleich mit der Nazi-Zeit – oder anderen Diktaturen – zu denunzieren. Ludwig Stieglers aberwitzige Behauptung, die CDU-Parole „Sozial ist, was Arbeit schafft“ erinnere ihn an die zynische KZ-Überschrift „Arbeit macht frei“, fügt sich nämlich ein in eine Reihe von ähnlichen Erinnerungsvergleichen.

Das fing an, zum Beispiel, mit Willy Brandts Bemerkung, Heiner Geißler sei der schlimmste Hetzer seit Goebbels. In diese Reihe gehörte dann auch Herta Däubler-Gmelins Behauptung, die angebliche Methode George W. Bushs, innenpolitische Krisen durch außenpolitische Abenteuer zu überspielen, kenne man schon von „Adolf Nazi“ – als ob Hitler je Kriege führen „musste“, um Wahlen zu gewinnen. Und vergessen wir nicht: Ludwig Stiegler ist Wiederholungstäter: Im Wahlkampf 2002 setze er den amerikanischen Botschafter in Berlin mit dem einstmals in Ostberlin kommandierenden „Botschafter“ Abrassimow gleich.

Vergessen wir allerdings auch nicht, dass es auf der deutschen Rechten nicht minder verbohrte, ja noch fatalere Erinnerungsfehlleistungen gab und gibt: Der CSU-Mann Fellner sah immerzu sofort Juden auftauchen, wenn irgendwo die Kasse klingelt. Und so weiter und so fort.

Und bevor wir es vergessen: Ludwig Stiegler hat sich natürlich entschuldigt – aber so, dass er die Sache gedanklich verschlimmerte. Er habe durch diesen Vergleich nicht die NS-Zeit verharmlosen wollen. Diese Ausrede setzt aber logisch voraus, dass die NS-Herrschaft und die CDU-Politik zueinander in einem bestimmten Verhältnis stehen, nämlich im Verhältnis von mehr oder weniger schlimm – mithin in einer Relation der eigentlich nur graduellen Unterschiedenheit.

Solcher Irrwitz wird allerdings übertroffen durch den Beistand, der Stiegler durch seinen Stellvertreter im bayerischen SPD-Vorsitz, durch einen Herrn Pronold zuteil wurde: Wenn alles, was Arbeit schafft, sozial sei, dann sei auch Zwangsarbeit sozial. Diese Unzucht mit logischen Mitteln funktioniert aber nur in Bayern und bei gleichzeitig mangelnder Beherrschung der dortigen Landessprache, nämlich in der Verwechslung von „Arbeit schaffen“ (hochdeutsch) und „Arbeit anschaffen“ (bayerisch, für „befehlen“). Man fragt sich beinahe, woran die Herren Stiegler und Pronold denn durch Gerhard Schröders Ur-Versprechen erinnert wurden, wenn es ihm nicht gelinge, die Arbeitslosigkeit massiv zu senken, sei er es nicht wert, wiedergewählt zu werden.

Drei Probleme kennzeichnen diese Art von „Erinnerungspolitik – ein Paradox, die Methode und das Motiv. Das Paradox: Ein klassisches linkes Paradigma behauptet, die rassen- und völkermörderische Nazi-Herrschaft stelle ein einmaliges Verbrechen dar, das sich jeder Historisierung und jedem Vergleich entziehe. Weshalb dann immer wieder diese propagandistischen Vergleiche zu Lasten des Gegners? Die Methode: Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. In Wirklichkeit darf man fast nichts miteinander gleichsetzen, aber alles miteinander vergleichen, wenn man nur die Methode des Vergleichs beherrscht, wenn man also den Gesichtspunkt, unter dem man A mit B vergleichen will, zuvor exakt benennt, das berühmte Tertium Comparationis. Dann, nur dann vermeidet man kurzschlüssige Gleichsetzungen und irrsinnige Analogien. Das Motiv: Der Zwang zur kollektiven Selbstbeschmutzung, der sich in der Beschmutzung des politischen Gegners mit unhistorischen Gleichsetzungen äußert, zeigt nur eines: dass zuweilen gerade jene unsere jüngere Geschichte nicht wirklich bearbeitet haben, die sich moralisch so haushoch über sie erhaben dünken.

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