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Meinung: Deutsche und Tschechen: Wer in den Fesseln hängen bleibt

Wer daran festhält, dass Mitteleuropa ein Eckstein der deutschen Europapolitik ist - und es gibt gute Gründe, das zu tun -, für den ist das Verhältnis zu den Nachbarn der Bundesrepublik im Osten und Südosten ein Politikum von hohem Rang. Mit Polen ist ein schwieriges Werk der Verständigung weit vorangekommen.

Wer daran festhält, dass Mitteleuropa ein Eckstein der deutschen Europapolitik ist - und es gibt gute Gründe, das zu tun -, für den ist das Verhältnis zu den Nachbarn der Bundesrepublik im Osten und Südosten ein Politikum von hohem Rang. Mit Polen ist ein schwieriges Werk der Verständigung weit vorangekommen. Anders steht es mit Tschechien. Die Reise, die Außenminister Joschka Fischer gestern nach Prag geführt hat, hatte deshalb ihr spezifisches Gewicht. Es hatte seinen fatalen Symbolwert, dass sie dem fünfjährigen Bestehen der deutsch-tschechischen Erklärung gelten sollte, die ein erster Schritt in Richtung auf die seit langem überfällige neue Begründung des deutsch-tschechischen Verhältnis war - und dass sie mitten hinein in die noch immer verminten Zonen dieser Nachbarschaft führte.

Natürlich sind die Auslassungen des tschechischen Ministerpräsidenten Milos Zeman indiskutabel, im Ton und in der Sache; man kann nur hoffen, dass seine Erklärung, nun solle nach vorn geblickt werden, eine Abkehr davon einschließt. Doch das Problem besteht ohnedies nicht darin, dass sich die Tschechen zur Zeit einen Choleriker als Ministerpräsidenten leisten. Es hat seinen Grund in den unabgetragenen historischen Belastungen, die noch immer in diesem Teil der gebeutelten mitteleuropäischen Geschichts-Landschaft stecken. Sie halten Komplexe und Ansprüche am Leben, die überwunden werden müssen, wenn sich die beiden Länder aus den Verschlingungen ihres gemeinsamen 20. Jahrhundert-Schicksals wirklich befreien wollen.

Denn man täuscht sich nicht, wenn man argwöhnt, dass in Zemans Äußerungen auch etwas von der Grundsuppe eines zutiefst unsicheren Selbstgefühls blubbert. Alle Länder, die der Kommunismus über Jahrzehnte hinweg in politischer Unmündigkeit hielt, haben Schwierigkeiten, zu sich selbst zu finden. Aber kaum eins tut sich damit so schwer wie Tschechien. Das kleine Land, das einst das Hoffnungs-Zeichen des Prager Frühlings aufpflanzte und dessen Revolution 1989 das schöne Beiwort der samtenen erhielt, ist noch immer und stärker als andere der Gefangene seiner älteren und jüngeren Vergangenheiten. Da trifft die Geschichts-Keule, die Zeman gegenüber den Sudentendeutschen schwingt - bis hin zu ihrer In-Anspruch-Nahme als fünfte Kolonne Hitlers - allemal noch auf Zustimmung. Gemessen an der Vergangenheitsbewältigung der Deutschen "sind wir heute sozusagen im Jahre 1957", sagt Jiri Grusa, der kluge frühere Botschafter Prags in der Bundesrepublik.

Das ist kein Grund für die Deutschen, überlegen zu tun. Wir haben unseren gehörigen Anteil am unbefriedigenden Zustand des deutsch-tschechischen Verhältnisses. Das betrifft nicht nur die Sudetendeutsche Landsmannschaft, obwohl diese sich schon vorhalten lassen muss, dass sie - mit ihrer Rhetorik wie mit ihren Forderungen - dieses empfindliche Verhältnis immer wieder in Unruhe versetzt hat. Der Blick auf die deutsch-polnischen Beziehungen zeigt, was diesem Verhältnis abgeht: das über lange Zeit anhaltende politische und zivilgesellschaftliche Engagement, das erst den Boden für die heutige Aussöhnung bereitet hat. Gewiss sind Polen und Tschechien ziemlich unterschiedliche Fälle historischer Katastrophen-Regulierung. Aber etwas von dem Engagement, mit dem seit den siebziger Jahren Deutsche und Polen aufeinander zugingen, brauchte auch das deutsch-tschechische Verhältnis. Hoffentlich haben das die Politiker gemeint, als sie versicherten, ihre Aufmerksamkeit künftig auf die gegenseitigen Beziehungen zu richten.

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