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Die EU als Deutsche Union - das will der Rest von Europa nicht.

© dpa

Deutschland muss Briten in der EU halten: Faserland

Der deutsche Einfluss in Europa ist groß, sehr groß. Doch die EU als Deutsche Union will keiner, und die Deutschen wären damit überfordert. Auch deshalb wäre es klug, die Stimme der Briten in Europa zu stärken - bevor es endgültig zu spät ist.

Es läuft richtig gut für die Deutschen. Seit Erscheinen von Christopher Clarks Buch „Die Schlafwandler“ haben sie mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs nichts mehr zu tun, und auch der Auslöser des Zweiten Weltkriegs, der Faschismus, wird mit Deutschland heute nicht mehr in Verbindung gebracht. Faschisten gibt es in Kiew (sagt Putin), in Frankreich (sagt Wolfgang Schäuble) und in Moskau (sagen Prinz Charles und Hillary Clinton) – nur eben nicht in Deutschland. Hitler ist nicht mehr deutsch.

Gleichzeitig hat es offenbar vor allem Angela Merkel in der Hand, was aus der Europäischen Union werden soll, ob die Briten dabeibleiben oder nicht, ob Jean- Claude Juncker Kommissionspräsident werden darf oder nicht. Der deutsche Einfluss in Europa ist groß, auch weil das Land mitten in der Krise des Kapitalismus besser dasteht. Die deutsche Teilung ist nun verspätet zu einem Wettbewerbsvorteil geworden, weil das Land mit der absurden Mischung aus Kapitalismus und Sozialismus, die in der EU gefragt ist, schon seit Jahrzehnten vertraut ist. Marx ist wieder deutsch.

Möglicherweise stehen die Siegermächte am Strand der Normandie und fragen sich: Wer hat eigentlich die beiden Kriege verloren? Vor mehr als 20 Jahren hat ein junger britischer Thrillerautor diese Frage bereits beantwortet: Robert Harris’ „Fatherland“ spielt in einem Europa, in dem die Deutschen den Krieg gewonnen haben und nun den Kontinent beherrschen. Dieses Deutschland hat zwölf Staaten „durch den Vertrag von Rom in einem europäischen Handelsblock zusammengepfercht“. Die allgemeine Währung ist die Reichsmark, und alle Deutschen wissen: „Die Briten, die Franzosen und die Italiener tun, was wir ihnen sagen.“

Damals wollte davon in Deutschland keiner etwas wissen. Obwohl der Roman in England und Amerika bereits ein Bestseller war, lehnten es in Deutschland 25 Verleger ab, das Buch auf den Markt zu bringen. Am Ende kam „Vaterland“ beim Schweizer Haffmanns-Verlag heraus.

In der „Sunday Times“ erklärte Harris damals die Analogie zwischen dem Plot des Romans und der Wirklichkeit: „Zum ersten Mal seit 50 Jahren beachtet ganz Europa ängstlich die Entscheidungen eines deutschen Kanzlers.“ Harris, der heute zu den erfolgreichsten englischen Schriftstellern gehört und der mit seinen Büchern inzwischen auch auf den deutschen Bestsellerlisten ganz oben zu finden ist, schrieb 1992: „Eines nach dem anderen sind Hitlers Kriegsziele erreicht worden.“

Die Analogie wurde damals in Deutschland empört zurückgewiesen, weil sich das wiedervereinigte Land unter Faschismusverdacht gestellt fühlte: „Hinter der Dämonisierung der Bundesrepublik“, schrieb der „Spiegel“, „verbirgt sich also zugleich eine Verharmlosung des Dritten Reichs.“ Harris, noch immer Labour-Anhänger, ist heute jedoch nicht mehr der Einzige in Europa, der in solchen Analogien denkt. Der französische Historiker Emmanuel Todd sieht Europa als ein „hierarchisches System“, in dem „Griechen, Portugiesen, Spanier und Italiener als Bürger zweiter Klasse dienen, die Franzosen sich irgendwie als guter Zweiter aus der Affäre ziehen und alle auf den Primus Deutschland hören“.

Es gibt viele Gründe, warum die Europäische Union mit den Briten besser dasteht – außenpolitisch, militärisch, wirtschaftlich. Man kann auch nicht Jahrzehnte voller Pathos von einer gemeinsamen europäischen Kultur reden und dann genau 300 Jahre nachdem ein Deutscher den britischen Thron bestiegen hat, diese Kultur auf EU-Niveau reduzieren.

Vor allem aber haben die Briten schon früh realistischer auf Deutschland, die EU, die Last der Vergangenheit und die Risiken des Euro geblickt als andere – vor allem in Deutschland. Von dem, was Harris 1992 schrieb, wollten 25 Verleger nichts wissen, obwohl ihnen dadurch viel Geld durch die Lappen gegangen ist. Ein Jahr später veröffentlichte Margaret Thatcher ihre Memoiren, und auch vor dem, was die als antieuropäisch Verhasste zu sagen hatte, wurden die Ohren verschlossen: „Letztendlich wollen die Deutschen, weil sie davor zurückschrecken, sich selbst zu regieren, ein europäisches System etablieren, in dem sich keine Nation selbst regiert. Langfristig kann so ein System nur instabil werden, und, angesichts von Deutschlands Größe und Gewicht, unausgewogen. Die Fixierung auf ein europäisches Deutschland birgt das Risiko, dass am Ende dabei ein deutsches Europa herauskommt.“

Die Briten aus der EU rauszudrängen, weil sie Sachen sagen, die wir nicht hören wollen, ist infantil. Ein linker Schriftsteller und eine konservative Politikerin aus Großbritannien haben vor Jahren auf eine Entwicklung hingewiesen, die wir jetzt beklagen, die EU als Deutsche Union. Der Rest von Europa will die nicht, und die Deutschen sind damit überfordert. Klüger ist es also, die Stimme der Briten in Europa zu stärken, bevor es endgültig zu spät ist.

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