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Meinung: Deutschland und Frankreich: Paris und Berlin: Schafft ein, zwei, viele Achsen

Kühe stehen in Europa zurzeit nicht hoch im Kurs. Nur eine von ihnen umgibt noch eine heilige Aura: das Sonderverhältnis zwischen Deutschland und Frankreich.

Kühe stehen in Europa zurzeit nicht hoch im Kurs. Nur eine von ihnen umgibt noch eine heilige Aura: das Sonderverhältnis zwischen Deutschland und Frankreich. Beim EU-Gipfel in Nizza hat es zwar schwere Zerwürfnisse zwischen Paris und Berlin gegeben, der Kanzler forderte sogar eine Neudefinition des Verhältnisses. Doch vor dem Gipfel in Straßburg, der die Verletzungen heilen soll, bekräftigen Schröders Interpreten, es gebe keine Alternative zum deutsch-französischen Europa-Motor. Wirklich nicht? Nach all den grundstürzenden Veränderungen seit 1989?

Natürlich, ohne die Zusammenarbeit links und rechts des Rheins wäre die Kluft nicht überwunden worden, die die beiden Weltkriege geschaffen haben. Auch deshalb ist das deutsch-französische Verhältnis mehr als ein terminus technicus. Es atmet den Hauch von Frieden und Versöhnung. Das ist ein gutes Stück europäischer Geschichte, aber eben: Geschichte. Längst zweifeln andere EU-Mitglieder an der deutsch-französischen Doppelspitze. Belgiens Premier Verhofstadt sprach in Nizza von einem "Direktorium" der Großen.

Schon der Umfang der künftigen Union mit 27 Mitgliedsstaaten stellt den Führungsanspruch von nur zwei Ländern vor ein Legitimationsproblem. Im europäischen Alltag zeigen sich neue Allianzen: zwischen Frankreich und Spanien, die das gemeinsame Interesse an der Mittelmeerkooperation eint. Und um Deutschland scharen sich die osteuropäischen Beitrittsländer, voran Polen.

Die EU wird an solchen demokratisch selbstverständlichen Fraktionsbildungen und wechselnden Interessenkoalitionen nicht zerbrechen. Warum sollte Europa auch an Antriebskraft verlieren, wenn Deutschland seine engen Bindungen an Frankreich lockert, aber dafür andere Kooperationen ihre Dynamik entfalten? Die "Normalisierung" der deutschen Außenbeziehungen nach dem Umbruch von 1989, die Politik des aufgeklärten Eigeninteresses, ist das erklärte Programm der "Neuberliner" Schröder und Fischer.

Sie sind nicht mehr einseitig frankophil. Sie pflegen die Freundschaftsrituale mit Frankreich, stimmen sich aber auch mit anderen Ländern ab, zunehmend sogar mit einem Großbritannien, das wesentlich integrationsfreudiger ist als zu den Zeiten Adenauers oder Kohls.

In seinem Nizza-Bericht vor dem Bundestag lobte der Kanzler die deutsch-italienische Initiative für den Post-Nizza-Prozess sowie die deutsch-österreichische Förderung von Grenzregionen und stellte die Partnerschaft mit Polen heraus. Das künftige Europa ist multipolar, es kann nicht mehr auf einer einzigen Achse fahren.

Allerdings können die Deutschen ihren französischen Partnern nicht einfach offen ins Gesicht sagen: Nun bescheidet Euch mal mit einer kleineren Führungsrolle. Paris wehrt sich mit ganzer Kraft gegen die Neubewertung der Kräfteverhältnisse und Kooperationsoptionen. Denn seinen Anspruch auf weltweite Mitsprache kann Frankreich immer weniger mit seiner kolonialen Vergangenheit begründen. Um so wichtiger für Paris ist der Führungsanspruch in der EU und die Festschreibung der deutsch-französischen Parität. Chirac treibt die Sorge, dass das wiedervereinigte Deutschland sich aus der begrenzenden französischen Umarmung löst, und dass Frankreich weiter an Bedeutung verliert.

Wenn Fischer in Freiburg und Schröder in Straßburg nun wider alle Plausibilität die deutsch-französische Achse beschwören, dann muss das keine Abkehr sein vom Bild eines multipolaren Europa. Ihm gehört die Zukunft, aber wegen der französischen Bedenken gilt auch hier: Immer daran denken, nie darüber reden.

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