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Deutschland & Polen: Was es uns wert ist

Streit um die Rolle Erika Steinbachs im Beirat der Bundesstiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung": Angela Merkel muss sich entscheiden - entweder gegen die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, oder gegen die gerade mit viel Geduld verbesserten deutsch-polnischen Beziehungen.

Dynamische Ostseeregion – 20 Jahre Partner in Europa“: Dies ist das Motto der Hamburger Matthiae-Mahlzeit. Sie wird seit dem Jahre 1356 gegeben. Die beiden Ehrengäste sind diesmal der polnische Ministerpräsident und die deutsche Bundeskanzlerin. Es scheint kaum vorstellbar, dass Donald Tusk und Angela Merkel bei diesem ältesten Friedensmahl der Welt am Freitagabend sprechen können, ohne dass zuvor der deutsch-polnische Streit um die Rolle Erika Steinbachs im Beirat der Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ bereinigt worden ist.

Der Bund der Vertriebenen, dem Sitze im Beirat zustehen, hatte Anfang des Jahres seine Vorsitzende dafür nominiert. Die macht geltend, sie habe dem Gremium ihren Verzicht angeboten, das sei jedoch vehement zurückgewiesen worden. Alles andere wäre auch ein Wunder gewesen. Berufen werden die Mitglieder des Beirats durch die Bundesregierung. Die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende hatte offenbar geglaubt, die Entscheidung bis nach der Bundestagswahl vertagen zu können. Das gezielte Vorpreschen des BdV, der Steinbachs Nominierung öffentlich machte, durchkreuzt Angela Merkels Plan.

Nun muss sie sich entscheiden – entweder gegen Steinbach und damit gegen eine nicht unwichtige Wählerklientel oder gegen die gerade mit viel Geduld verbesserten deutsch-polnischen Beziehungen. Die SPD hat sich dezidiert gegen die Vertriebenen-Vorsitzende ausgesprochen. Die Vorstellung freilich, darüber würde es im Kabinett eine kontroverse Debatte geben, steht gegen die Usancen. Koalitionsstreit wird vor der Kabinettssitzung bereinigt. Das kann in diesem Fall auch heißen, dass das Thema zurückgestellt wird. Das aber ist unwahrscheinlich, denn der entstandene Druck und der möglicherweise noch entstehende Schaden sind nicht formal-juristisch, sondern politisch. Konkret: außenpolitisch.

Die Folie, vor der Merkel so hinhaltend zu taktieren versucht, ist ein ganz ähnliches Verhalten Helmut Kohls im Frühsommer 1990. Damals bemühte sich der Unionskanzler lange, die deutsche Einheit ohne eine endgültige und unrevidierbare Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze zu erhalten. Er beugte sich erst dem massiven Widerstand der Alliierten. Das ist in Polen so wenig vergessen wie die Tatsache, dass Erika Steinbach dann dagegen stimmte und dass sie sich Jahre später auch gegen den EU-Beitritt Polens wandte.

Dem mag man entgegenhalten, dass sie seit 1998 als BdV-Vorsitzende den Verband aus der reaktionären Ecke zu holen trachtete. Aber dieser Bonus zählt, wenn überhaupt, nur auf der deutschen Seite. Auf der polnischen bleibt der Verdacht virulent, Steinbach versuche, den Polen von Deutschen angetanes Leid und dessen Folgen zu relativieren. Das erklärt auch den in seiner Form untragbaren Zornesausbruch des früheren Außenministers und KZ-Überlebenden Wladyslaw Bartoszewski, der eine Ernennung Steinbachs mit einer (fiktiven) Bevollmächtigung des Holocaustleugners Williamson als vatikanischen Beauftragten für die Beziehungen zu Israel verglich.

Erika Steinbach hat sich bitter beklagt, dass ihr gegen diese Attacken niemand von Rang aus der eigenen Partei hilfreich zur Seite trat. Sie übersieht vermutlich, dass die organisierten Vertriebenen zwar mehrheitlich der Union zuneigen, aber dass sie selbst nicht so bedeutend ist, dass man wegen ihrer Unnachgiebigkeit die deutsch-polnischen Beziehungen gegen die Wand fährt.

Gerd Appenzeller

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