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Meinung: Deutschlands Rolle: Zu viel Geschichte schlägt aufs Gemüt

Wie viel Geschichte verträgt der Mensch? Und in wie kurzer Zeit?

Wie viel Geschichte verträgt der Mensch? Und in wie kurzer Zeit? Seit dem letzten Sonntag führt die westliche Welt so etwas wie Krieg. Am Dienstag besuchte Gerhard Schröder in New York den Nullpunkt der jetzigen historischen Situation: die Ruinen des World Trade Center. Am Donnerstag hielt der Kanzler eine bedeutende Rede, in der er offen aussprach, was offenkundig ist, dass sich Deutschlands internationale Rolle wandelt. Erst am Ende dieser atemlosen Woche gab es dann wieder ein gewohntes Ritual: Die Friedensbewegung demonstriert wieder, mit gewohnten Argumenten und in geringer Zahl.

Wie viel Geschichte also verträgt der Mensch? Nicht so viel, wie uns zurzeit widerfährt. Also muss man in aller Eile und aller Kühle sortieren, was jetzt wichtig ist und was nicht. Dazu kann man in der Tat zurückgehen zum Nullpunkt: Die westliche Welt muss verhindern, dass es noch einmal 6000 Terroropfer gibt und noch einmal und noch einmal. Die Aufgabe der Deutschen ist es dabei, den USA diplomatisch, militärisch und irgendwann auch finanziell zu helfen, sowie auf sie, wenn nötig und möglich, mäßigend einzuwirken.

Zum Thema Online Spezial: Kampf gegen Terror Schwerpunkt: US-Gegenschlag, Nato und Bündnisfall Schwerpunkt: Osama Bin Laden Schwerpunkt: Afghanistan Schwerpunkt: Islam & Fundamentalismus Schwerpunkt: Innere Sicherheit Chronologie: Terroranschläge in den USA und die Folgen Fotostrecke: Bilder des US-Gegenschlags Umfrage: Bodentruppen nach Afghanistan? Nicht so wichtig ist hingegen, ob der amerikanische Präsident nun Tony Blair oder Gerhard Schröder als besten Freund bezeichnet. Nicht so wichtig ist darum auch die neue weltpolitische Bedeutung Deutschlands. Jeder weiß doch schon seit dem Kosovo-Krieg, dass die deutsche Vergangenheit keine Ausreden für die Gegenwart mehr bereithält. Jeder ahnt doch schon seit längerem, dass Deutschland in einigen Jahren außen- und sicherheitspolitisch das Gewicht bekommen wird, das es durch seine geopolitische Lage, seine Bevölkerungszahl und sein ökonomisches Gewicht nun mal hat.

Mit all dem sollte man sich in diesen hysterisch-historischen Zeiten nicht belasten. Zumal sich über die künftig gewichtigere Rolle Deutschlands (fast) alle Parteien einig sind. Aber es ist eben nur eine mittelfristige Aussicht, weil wir erst noch eine Menge Geld für den Umbau der Bundeswehr, den Ausbau der Geheimdienste und die Ausdehnung der Entwicklungshilfe ausgeben müssen.

Jetzt sieht unser Potenzial so aus: Wir haben einen Kanzler, der kaum Fehler macht, einen Außenminister, der international zu einer Größe geworden ist und ansonsten eine schwache Bundeswehr, einen schwachen Verteidigungsminister, dürftige Geheimdienste, wachsame französische Nachbarn, die uns außenpolitisch das Schwarz-Rot-Goldene unterm Fingernagel nicht gönnen. Das ist unser Potenzial, wir sollten es nicht überdehnen. Und nicht überfrachten mit weltpolitischem Pathos.

Dieser Krieg braucht wie jeder Krieg starke Gefühle, schon weil er Ängste provoziert. Doch benötigen wir andere Gefühle als die, die wir schon haben: Stolz auf unsere Werte, den Schutz unserer Freiheit, das Gedenken an die Toten. Was wir brauchen, ist die Konzentration auf das Konkrete: Was geht wirklich vor in Afghanistan? Hält der Westen die Balance zwischen Militär und Diplomatie? Was kommt nach den Taliban? Wie kann ein Stabilitätsplan Mittlerer Osten aussehen?

Wie viel Geschichte verträgt Mensch? Nicht zu viel, bitte.

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