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Meinung: Die Ärmsten

Das Scheitern der Welthandelskonferenz in Mexiko trifft nicht die reichen Länder

Nach dem Scheitern der Welthandelsgespräche in Cancún fühlen sich die Verlierer wie die Sieger: Die Entwicklungsländer bejubeln ihre neue Macht gegen die Dominanz der Industriestaaten. Und die Globalisierungskritiker feiern schon das Ende der Globalisierung. Statt Freudenfeste zu feiern, sollten sie lieber nachdenken. Denn mit dem Scheitern der WTO-Verhandlungen ist eine Chance vertan worden, das internationale Handelssystem zugunsten der armen Länder zu verändern. Diese Chance wird es so schnell nicht wieder geben. Das Scheitern der Gespräche ist kein Triumph der Globalisierungsgegner. Es ist eine Niederlage.

Die neue Welthandelsrunde war im November 2001 in einem neuen Geist gestartet. Kurz nach den Terroranschlägen in New York einigten sich die Mitgliedstaaten darauf, den Wohlstand in der Welt durch den Abbau von Handelshindernissen wie Zöllen oder Exportsubventionen voranzutreiben. „Entwicklungsrunde“ wurden die Gespräche genannt: weil die Industrieländer zum ersten Mal bereit zu sein schienen, die Interessen der sich entwickelnden Länder angemessen zu berücksichtigen. Natürlich auch aus Eigennutz. Wenn der Wohlstand in den armen Ländern durch eine weitere Liberalisierung des Handels steigt, so die Hoffnung, dann würden sich letztlich auch Probleme wie Terrorismus, Migration und Seuchen leichter in den Griff bekommen lassen.

Doch das ehrgeizige Projekt ist gescheitert. Die Gegensätze sind zu groß, der Wille zum Kompromiss ist zu klein. Die reichen Länder haben sich in Cancún geweigert, eine Senkung der Agrarsubventionen zuzusagen – aus Angst, mit Billigprodukten überschwemmt zu werden. Umgekehrt haben sich die Entwicklungsländer geweigert, Zugeständnisse beim internationalen Investitionsschutz zu machen – aus Sorge, von den Reichen über den Tisch gezogen zu werden.

Diejenigen, die die Konferenz haben scheitern lassen, trifft dieser Vorwurf noch am wenigsten. Die ganz Großen unter den Entwicklungsländer wie China, Brasilien, Indien und Mexiko haben kein Problem, wenn die Industrieländer nun mit jedem Einzelnen verhandeln wollen. Diese Länder sind stark, ihre Märkte sind interessant genug, sie können ihre Interessen durchsetzen.

Tragisch ist das Scheitern der WTO-Verhandlungen aber für die Länder, die eigentlich den Nutzen haben sollten: die ärmsten. Nach Schätzungen der OECD würde ein Abbau der Handelsbarrieren ihnen mehr als das Doppelte der jetzigen Entwicklungshilfe einbringen. Und die Weltbank geht davon aus, dass eine weitere Öffnung der Märkte 144 Millionen Menschen aus der Armut erlösen könnte.

Klar ist: Nicht alle würden in gleichem Maße profitieren. Die Südländer sind gegenüber den Industrieländern immer in der schwächeren Situation. Aber die beste Verhandlungsposition haben sie nun einmal im Rahmen der WTO. Nur dort sitzen die Armen als gleichberechtigte Verhandlungspartner mit an einem Tisch, nur dort haben sie die Chance, mit ihrer Stimme über die Zukunft des Welthandels mitzuentscheiden und den Industriestaaten im Verbund mit anderen Entwicklungsländern die Stirn zu bieten. Denn die WTO sieht gleiche Regeln für alle 148 Mitgliedsländer vor.

Was den armen Ländern jetzt droht, hat der US-Handelsbeauftragte Bob Zoellick deutlich gesagt. Rund um den Globus werden die EU und die USA ausgewählte Länder mit bilateralen Handelsabkommen an sich binden. Da gilt das Recht des Stärkeren. Das schwächt nicht nur die Verhandlungsposition der Entwicklungsländer, sondern ist auch ein klarer Verstoß gegen WTO-Prinzipien, die gleiche Zollsätze und gleiche Regeln für alle vorschreiben.

Die Globalisierungegner sollten sich über eines im Klaren sein, wenn sie die WTO und die Liberalisierung des Welthandels als Teufelswerk abtun. Eine gerechtere Verteilung des Wohlstands kann es – wenn überhaupt – nur mit der WTO geben.

Maren Peters

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