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Meinung: Die ersten Sieger

Der Kriegsverlauf stärkt die Kurden: Eine Neuordnung des Irak kommt an ihnen nicht vorbei/Von Heinz Kramer

Wichtigster und bisher einzig erkennbarer Verbündeter der Alliierten vor Ort sind die irakischen Kurden. Mit ihrer Hilfe bemühen sich die USStreitkräfte zurzeit, im Norden Iraks eine zweite Front zu errichten, nachdem die Türkei sich verweigert hat. Die dadurch eingetretene Verzögerung beim Aufbau der Nordfront zeigt mit dem Stocken des Vormarsches auf Bagdad infolge des massiven irakischen Widerstandes bereits ihre fatalen Konsequenzen für die amerikanische Kriegsplanung. Umso größer ist der Wert der kurdischen Verbündeten für einen raschen militärischen Erfolg im Norden.

Die so von den amerikanischen Planern nicht vorgesehene alleinige Abstützung der Nordoperation auf die Kurden schafft jedoch zusätzliche politische Probleme. Die Führer der Kurden verfolgen im und mit dem Krieg eine eigene politische Agenda. Sie streben nach der Konsolidierung ihrer nach dem vorigen Irakkrieg unter amerikanisch-britischem Schutz erreichten fragilen politischen Eigenständigkeit im Nordirak. Dazu gehört für sie auch die Rückkehr in ihre Hauptstadt Kirkuk, die im Zentrum der wichtigsten irakischen Ölregion liegt.

Dies liegt weder im Interesse der anderen politischen Kräfte des Irak noch in dem der Nachbarstaaten Türkei, Iran und Syrien. Alle fürchten die Entstehung eines selbstständigen Kurdenstaates, der seine Entwicklung auf die Verfügung über das nordirakische Öl stützt. Alle misstrauen gleichermaßen den Versicherungen der kurdischen Führung, dass dies nicht Ziel ihrer politischen Bemühungen sei. Und ebenso sehr zweifeln sie daran, dass es unter den gegebenen Bedingungen den Amerikanern gelingt, die Kurden auf Dauer in eine gesamtirakische Lösung einzubinden.

Die Amerikaner bemühen sich verzweifelt, ihre militärische Präsenz im Nordirak so schnell wie möglich so zu verstärken, dass sie zumindest jetzt eine kurdische Dominanz nach der Eroberung von Kirkuk neutralisieren können. Dies ist unbedingt nötig, um eine bereits angekündigte türkische Militärintervention gegen die Kurden zu verhindern, die zu einem Krieg im Krieg führen würde, bei dem die Amerikaner militärisch und politisch zwischen den Fronten stünden. Das könnte das gesamte Irak-Unternehmen politisch, möglicherweise sogar militärisch, zu einem Desaster werden lassen.

In jedem Fall wird die Kurdistanfrage jedoch nach einem militärischen Erfolg der Alliierten erst richtig virulent und zu einem Hauptproblem für den politischen Erfolg. Im Irak werden sich alle Kräfte gegen eine weit reichende kurdische Autonomie wenden. Sie können dabei mit Unterstützung von außen rechnen. Schon jetzt instrumentalisiert die Türkei die turkmenische Minderheit im Irak gegen kurdische Interessen. Turkmenische Vertreter erheben mit Unterstützung Ankaras für Kirkuk den Anspruch auf politische Gleichberechtigung, da die Stadt auch ihr traditionelles Zentrum gewesen sei. Die unter Saddam in und um Kirkuk in großer Zahl angesiedelten Araber fürchten sich vor der Vergeltung der von dort vertriebenen Kurden. Die sunnitischen Araber und die schiitische Bevölkerung im Südirak eint das Interesse, eine kurdische Alleinverfügung über das Öl des Nordens zu verhindern.

Ein innerirakischer Ausgleich dieser widerstreitenden Interessen ist auf Dauer nur im Rahmen eines starken und stabilen Staatsverbandes möglich. Niemand weiß heute, ob die Alliierten, die UN und die Europäer bereit sind, die dafür notwendigen politischen und militärischen Anstrengungen und Kosten zu übernehmen. Alle gehen jedoch davon aus, dass die irakischen Gruppierungen nicht in der Lage sind, dies schnell und aus eigener Kraft zu schaffen.

Die Kurden werden bei den Bemühungen um eine Nachkriegslösung keine einfachen Partner sein. Zu oft haben sie in der Vergangenheit schon erfahren müssen, dass ihre Interessen allen anderen im Wege standen und deshalb letztlich unterdrückt wurden. Das soll sich nun auf keinen Fall wiederholen. Der bisherige Verlauf des Krieges hat ihre Position gestärkt – aber auch Misstrauen und Widerstand aller anderen Kräfte. Das spricht für schwierige Verhandlungen, zumal die Kurden bisher Distanz zu den anderen Oppositionskräften gewahrt haben.

Wer in den USA und Europa an einer stabilen Nachkriegssituation interessiert ist, wird nicht umhin kommen, sich ausführlich mit der Kurdenfrage zu beschäftigen. Und dabei gilt es auch zu berücksichtigen, dass diese Frage nicht auf den Irak begrenzt ist. Gerade wer mittels des Irakkriegs einen grundlegenden Wandel in der Region herbeiführen will, darf die Frage nach der Zukunft des drittgrößten Volkes dieser Region nicht unbeantwortet lassen. Ohne eine befriedigende Antwort kann es auf längere Sicht keine politische Stabilität im Mittleren Osten geben.

Der Autor arbeitet bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

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