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Schluckt das: Die EU-Kommission will offenbar die Hürden für Arzneimitteltests an Menschen senken.

© dpa

Die EU und die Lobbyisten: Stress im Bürgerkuscheljahr

Die EU verspielt Vertrauen, weil sie den Einfluss von Lobbyisten kaum zurückdrängt.

Von Anna Sauerbrey

Die EU hat ein Imageproblem, und sie weiß es. Bürgerfern, undemokratisch, bürokratisch – die Liste der unschmeichelhaften Attribute ist lang. Deshalb hat die Kommission das Jahr des Bürgerkuschelns ausgerufen. Viviane Reding, die Justizkommissarin, der Ambitionen auf den Kommissionsvorsitz nachgesagt werden, tourt durch die Lande und hört sich bei Bürgerversammlungen die Sorgen der Menschen an. Eigentlich eine gute Sache. Doch die leitenden Köpfe in Brüssel drohen das, was Reding in Handarbeit aufbaut, gleich wieder einzureißen – indem sie den Verdacht zulassen, die Architekten der EU-Gesetzgebung seien in Wahrheit nicht sie selbst, sondern die Lobbyisten großer Konzerne.

Lobbynah – das ist noch so ein negatives EU-Klischee und in diesen Tagen erhält es gleich mehrfach neue Nahrung. Wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet hat, arbeitet die Kommission an einer Verordnung, die die Regeln für Arzneimitteltests an Menschen ändern soll. Die Verordnung soll eine bislang geltende Richtlinie ersetzen. Den Deutschen würde so der Ausgestaltungsspielraum genommen, Verordnungen träten direkt in Kraft. Nach Ansicht der Fraktionen von Union, SPD, Grünen und FDP würde der Schutz der Patienten in Deutschland dadurch verringert. Unabhängige Ethikkommissionen etwa wären nicht mehr nötig. Einige „schwerwiegende Ereignisse“ würden von der Meldepflicht ausgenommen. Die hohen Hürden für Versuche mit Minderjährigen würden gesenkt. Die Kommission begründet die Änderungen offenbar damit, dass wegen der komplizierten Regelungen Arzneimittelprüfungen in Europa zurückgegangen seien. Die Bundestagsabgeordneten bestreiten das. So entsteht der Eindruck, Brüssel habe dem Druck der Industrie ohne Not nachgegeben, als hätten sich die Kommissare von der ewigen Drohung, die Forschung an einen „günstigeren“ Standort zu verlagern, erschrecken lassen.

Wenige Tage zuvor hatten Journalisten und Aktivisten im Internet ein neues Portal freigeschaltet, auf dem nach Übereinstimmungen in Papieren von Lobbyisten und Vorschlägen der Kommission gesucht wird. Sie sind fündig geworden – ausgerechnet bei einem von Redings großen Vorhaben, der Reform des Datenschutzes. Ziel der Verordnung ist es, das veraltete Datenschutzrecht dem digitalen Zeitalter anzupassen. Auch wenn das so konkret niemand aussprechen würde: Die Verordnung ist auf Google, Facebook, Amazon und Ebay zugeschnitten. Sie ist darauf ausgerichtet, den Nutzern mehr Rechte gegenüber den Unternehmen zu verschaffen und US-Konzerne zu zwingen, sich der (strengeren) EU-Gesetzgebung zu unterwerfen. Der aktuelle Entwurf enthält nun dem Portal zufolge so manche Idee, die direkt der Feder eben jener Konzerne entspringt. So haben die EU-Beamten eine Passage aus einem Amazon-Papier übernommen, die es den Unternehmen erlaubt, zu definieren, welche Niederlassung sie als Hauptsitz betrachten möchten. Zwar wäre das Datenschutzrecht mit der Verordnung faktisch in allen EU-Ländern gleich. Doch die Unternehmen könnten sich so das Land mit den Datenschutzbehörden aussuchen, die am ineffizientesten arbeiten.

Solche Enthüllungen vermasseln der Kommission ihre Chance, als Anwältin der Verbraucher ihr Image aufzumöbeln. Das ist schade, hat sie doch in diesem Politikfeld großes Potenzial. Denn auch wenn es in den genannten Fällen nicht so scheinen mag – häufig ist es genau umgekehrt: Die Impulse für verbraucherfreundliche Regelungen kommen oft aus Brüssel, während die Mitgliedstaaten mauern. Die Deutschen etwa haben sich stark gegen die Lebensmittelampel gewehrt, die Verbrauchern helfen sollte, gesunde von ungesunden Lebensmitteln zu unterscheiden. Auch beim Verbot von Weichmachern im Spielzeug war Brüssel anfangs führend.

Doch wie ihre Gesetze zustande kommen, dabei lässt sich die Kommission ungern zuschauen. 2008 wurde zwar ein Lobbyistenregister eingerichtet und 2011 ausgebaut. Der Eintrag ist allerdings immer noch freiwillig. Solange die Kommission nicht bereit ist, hier noch transparenter zu werden, wird das Misstrauen der Bürger bleiben, gerade wegen der echten oder gefühlten „Ferne“ der EU-Institutionen. Da kann die charmante Frau Reding soviel kuscheln wie sie will.

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