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Verliert Kanzlerin Merkel ihren diplomatischen Kompass?

© dpa

Die „Fuck the EU“-Affäre: Die falsche Empörung der Angela Merkel

Angela Merkel empört sich über eine amerikanische Diplomatin, die die EU verunglimpft – weise war das nicht. Denn die Rolle Russlands in der Sache ist unklar. Und die Kanzlerin interessiert es offenbar nicht, wessen Geschäft sie möglicherweise betreibt.

Angela Merkel ist bekannt dafür, nicht spontan zu reagieren. Nie nachtragend, immer diplomatisch, bei der Wortwahl stets sorgsam: Das ist die Stärke der Kanzlerin, auch wenn das Fehlen jeder Impulsivität zuweilen Langeweile aufkommen lässt. Nur wenige Zitate von ihr haben sich daher eingeprägt. Etwa das von der Sicherheit Israels als „Teil der deutschen Staatsräson“ oder das vom Internet als „Neuland“ oder ihre Antwort auf die Frage, ob sie das von ihr heftig kritisierte Buch von Thilo Sarrazin überhaupt gelesen habe („Nein, die Vorabpublikationen sind vollkommen ausreichend und überaus aussagekräftig, um These, Kern und Intention seiner Argumentation zu erfassen.“) oder ihre ablehnende Haltung zum Adoptionsrecht für Homosexuelle („Ich sage Ihnen ganz ehrlich, dass ich mich schwertue mit der kompletten Gleichstellung.“) oder ihren abrupten Schwenk in Sachen Kernenergie nach Fukushima („Ich habe nicht erwartet, dass das, was ich als ein theoretisches und nur deshalb verantwortbares Restrisiko gesehen hatte, Realität wird.“).

In diesen fünf Fällen musste Merkel sich rechtfertigen. Da war, wie man so sagt, der Gaul mit ihr durchgegangen. Viel Applaus indes wird sie wohl jetzt bekommen, wo sie klar, hart und direkt eine Äußerung der amerikanischen Diplomatin Victoria Nuland als „absolut inakzeptabel“ bezeichnete. Nuland, die für Europa zuständige Abteilungsleiterin im US-Außenministerium, hatte in einem Telefonat mit dem amerikanischen Botschafter in der Ukraine, Geoffrey Pyatt, gesagt: „Fuck the EU“. Das geht natürlich gar nicht. So etwas muss eine glühende Europäerin auf’s Schärfste zurückweisen – und zwar unabhängig von der Frage, wessen Ukraine-Politik stimmiger ist, die der USA oder die der Europäer.

Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Das Telefonat zwischen Nuland und Pyatt wurde offenbar abgehört und der Mitschnitt dann auf Youtube veröffentlicht. Über Twitter verbreitet wurde dieser Mitschnitt als Erstes von einem Mitglied der russischen Regierung. Nicht nur das Weiße Haus, sondern auch der ukrainische Oppositionsführer Vitali Klitschko wittern deshalb eine Falle. Russland versuche, einen Keil zwischen Amerika und Europa zu treiben. Ein Streit solle provoziert werden, wovon allein das Regime von Viktor Janukowitsch profitieren würde. „Alle Seiten müssen besonnen reagieren und sollten nicht in diese Falle tappen“, mahnte Klitschko. Bewiesen ist nichts. Doch die simple Cui-bono-Frage sollte eine Kanzlerin nicht nur wegen der KGB-Vergangenheit Wladimir Putins misstrauisch machen.

Merkel glaubt, all jenen entgegenkommen zu müssen, die sich auf Fehdekurs mit Washington befinden

Merkel indes interessiert es offenbar nicht, wessen Geschäft sie in dieser Sache betreibt. Stattdessen glaubt sie, all jenen entgegenkommen zu müssen, die sich wegen der NSA-Affäre und des Freihandelsabkommens ohnehin auf Fehdekurs mit Washington befinden. Die sich „emanzipieren“ wollen vom großen Bruder und die „Vasallentreue“ zu ihm geißeln.

Verliert die Kanzlerin ihren Kompass? Ist ihr die mutmaßliche Illegalität des abgehörten Telefonats in diesem Fall egal, weil Amerikaner ausgespäht wurden und offenbar andere Geheimdienste als die NSA beteiligt sind? Diesen Verdacht sollte sie schleunigst entkräften. Impulsivität lässt sich verzeihen. Außenpolitische Orientierungslosigkeit dagegen wäre fatal.

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