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Jürgen Trittin. Mit der Nominierung von Joachim Gauck zum Bundespräsidenten lieferte er sein machtpolitisches Meisterstück ab.

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Die Grünen: Jürgen Trittin: Gauck-Erfinder mit Machtplänen

Jürgen Trittin hat den Kandidaten Gauck erfunden und ist der strategische Kopf der Grünen. Er ist der Einzige, der seine Partei auch in ein schwarz-grünes Bündnis führen kann, meint unser Gastkommentator Christoph Seils.

Der Erfolg hat viele Väter. Das ist in Sachen Joachim Gauck, dem designierten Bundespräsidenten, nicht anders. Seit sich vor acht Tagen eine Fünf-Parteien-Koalition darauf verständigt hat, den 72-jährigen Pfarrer und ehemaligen DDR-Bürgerrechtler als Präsidentschaftskandidaten zu nominieren und seit diese Entscheidung von einer Mehrheit der Deutschen bejubelt wird, wollen es alle gewesen sein. Die SPD feiert Gauck als ihren Kandidaten und der FDP-Vorsitzende Philipp Rösler kann vor Kraft kaum noch gehen, seit er die Kanzlerin bei der Kandidatenkür vorgeführt hat.

Dabei darf sich vor allem ein Politiker rühmen, der Gauck-Erfinder zu sein: Jürgen Trittin. Der Fraktionsvorsitzenden der Grünen lieferte mit der Nominierung von Gauck sein machtpolitisches Meisterstück ab. Auch wenn es zwei Jahre dauerte, bis sich dieses voll entfalten konnte. Trittin genießt die Rolle des Präsidentenmachers, und er lässt keinen Zweifel daran, dass die Wahl von Joachim Gauck zum Bundespräsidenten ein grüner Meilenstein auf dem Weg zur Macht sein soll. 2013 will Trittin wieder Minister werden.

Natürlich haben sich auch bei den Grünen in den letzten Tagen manche gemeldet, die Jürgen Trittin den Titel Gauck-Erfinder neiden. Sie wollen im April 2010 zumindest parteiintern dessen Namen zuerst genannt haben. Aber zweifelsohne war Trittin derjenige, der sofort die gewaltige politische Sprengkraft des Vorschlags erkannt hatte. Er war es zudem, der diesen anrief und für die zunächst aussichtslos erscheinenden Kandidatur gegen den Regierungskandidaten Christian Wulff gewann. Anschließend überzeugte Trittin auch den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel von seiner Idee. Zu guter Letzt räumte er Widerstände an der grünen Basis aus dem Weg. Wohl wissend, dass Gauck politisch nicht besonders gut zu SPD und Grünen passt und dieser auch im bürgerlichen Lager viele Anhänger hat. Das Kalkül ging auf.

Verglichen mit dem politischen Sturm, der Union und FDP derzeit um die Ohren bläst, war die Präsidentenwahl im Mai 2010 zwar nur ein laues Lüftchen. Aber es war trotzdem die Ouvertüre. Die Personalie Gauck bringt die schwarz-gelbe Bundesregierung in ernsthafte Bedrängnis und wirbelt die politischen Verhältnisse im Lande kräftig durcheinander. Ohne die breite öffentliche Unterstützung, die Gauck damals mobilisieren konnte und ohne den dritten Wahlgang, in den er Wulff schließlich zwingen konnte, hätte dieser jetzt keine zweite Chance bekommen. Ohne Trittin würde Gauck jetzt nicht Präsidentschaftskandidat.

Hinzu kommt, dass die Grünen und ihr Kandidat auch nach dem zweiten Rücktritt eines Bundespräsidenten innerhalb von zwei Jahren besser vorbereitet waren als andere Parteien. Schon im Dezember hatten sie Kontakt zu Gauck aufgenommen. Zu jenem Zeitpunkt ging die CDU noch davon aus, Wulff sei zu halten und die SPD stritt darüber, ob es nach einem Rücktritt des Bundespräsidenten nicht besser Neuwahlen geben solle. Trittin und Co. hingegen vergewisserten sich, ob ihr Kandidat gegebenenfalls ein zweites Mal zur Verfügung stünde.

Gauck stand bereit und musste schließlich nur noch geduldig warten, bis sich die anderen Parteien bei der Suche nach einer personellen Alternative völlig verrannt hatten. Auch praktisch war der Gauck-Erfinder Trittin dann gut vorbereitet. In der entscheidenden Sitzung konnte er der Kanzlerin mit der Handy-Nummer aushelfen, um den soeben gekürten Kandidaten rechtzeitig zur spätabendlichen Pressekonferenz ins Kanzleramt zu lotsen.

Der grüne Strippenzieher Trittin hat triumphiert

Der grüne Strippenzieher Jürgen Trittin hatte triumphiert und seine Position als heimlicher Vorsitzender und strategischer Vordenker seiner Partei gefestigt. Auch wenn er formal in die grüne Doppelspitze und somit in eine kollektive Führung eingebunden ist.

Auch bei der politischen Konkurrenz und in der Öffentlichkeit genießt der einstige Kommunist mittlerweile hohes Ansehen. Das war nicht immer so. Als Umweltminister der rot-grünen Bundesregierung zwischen 1998 und 2005 war Jürgen Trittin vielmehr das Enfant-terrible, der Buhmann für unpopuläre Entscheidungen wie etwa den Dosenpfand. Während der grüne Außenminister everybody‘s Darling war, war Trittin everybody‘s Prügelknabe. Allen voran Kanzler Schröder wünschte sich in seiner Regierung „mehr Fischer und weniger Trittin“.

Für Rot-Grün war Trittin dennoch unverzichtbar, schließlich band er erfolgreich den linken Parteiflügel in das Regierungsbündnis ein, etwa im Streit um die Bundeswehreinsätze im Kosovo und in Afghanistan. Beharrlich profilierte sich Trittin gleichzeitig als Umweltminister. Er brachte jenes Erneuerbare-Energien-Gesetz auf den Weg, das einen Öko-Strom-Boom auslöste. Jenen Boom, auf dessen Grundlage nun auch der schwarz-gelbe Atomausstieg vollzogen werden soll. Und während sich Fischer nach dem Ende von Rot-Grün aus der Politik zurückzog, dazu öffentlich mit seiner Partei abrechnete, trat Trittin wieder ins Glied zurück. Unermüdlich arbeitete er sich aus dem Schatten von Joschka Fischer heraus und betrieb zunächst aus dem Hintergrund seine weitere politische Karriere.

Diese Karriere soll nicht auf den Oppositionsbänken enden. Beharrlich wirbt Jürgen Trittin deshalb zwar für Rot-Grün. Aber er weiß nur allzugut, dass es in einem Vielparteiensystem, in dem sich im linken politischen Lager mittlerweile vier Parteien Konkurrenz machen, schwer wird, bei der Bundestagswahl 2013 eine rot-grüne Mehrheit zu erzielen.

Genauso beharrlich weicht er deshalb jeder Festlegung in Sachen Schwarz-Grün aus. Trittin ist der einzige Grünen-Politiker, der seine Partei auch in ein Bündnis mit der CDU führen könnte. Nur der linke Fraktionschef kann die skeptische Parteibasis mitnehmen. Die Realos hingegen stehen in Sachen Schwarz-Grün unter dem Generalverdacht, grüne Grundüberzeugungen opfern zu wollen.

Trittin weiß auch dies. Selbstbewusst verkündet er deshalb, die Grünen hätten der Kanzlerin nach der Abschaffung der Wehrpflicht und dem Atomausstieg auch in Sachen Bundespräsident „unsere Position aufgezwungen“. Wie eine Absage an ein Bündnis mit der Union klingt das nicht, sondern eher wie der Versuch, die eigene Basis frühzeitig an den Gedanken zu gewöhnen. Ein Bundespräsident Gauck – Trittin nennt ihn einen „wertegeleiteten Konservativen“ – könnte somit für Schwarz-Grün zu einem entscheidenden Wegbereiter werden.

Christoph Seils ist Ressortleiter Online von Cicero. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch "Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien" erschienen.

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