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Meinung: Die Jugend-Reihe: Die neue Staffel

Warum Politik auf den ersten Blick zäh wirkt? Vielleicht kann man es so beschreiben: Wer irgendwann in seiner Jugend anfängt, sich für Politik zu interessieren, Zeitungen liest, die Tagesschau sieht und beim Abendessen mit den Eltern streitet, fühlt sich wie ein Zuschauer, der zu spät bei einer Fernsehserie eingestiegen ist.

Warum Politik auf den ersten Blick zäh wirkt? Vielleicht kann man es so beschreiben: Wer irgendwann in seiner Jugend anfängt, sich für Politik zu interessieren, Zeitungen liest, die Tagesschau sieht und beim Abendessen mit den Eltern streitet, fühlt sich wie ein Zuschauer, der zu spät bei einer Fernsehserie eingestiegen ist. Eine Serie, die leider schon seit vielen, vielen Jahren läuft und an manchen Punkten so kompliziert ist (Folge 1265: "Der Renten-Showdown"), dass man sich für einen Zu-spät-Geborenen halten muss. Man versteht einfach gar nichts. Die Eltern wissen alles besser, und man muss immer fragen: "Warum?" und kann nie mal mit einem "Darum!" kontern. Je öfter man die Serie dann allerdings ansieht, desto weniger rätselhaft kommt sie einem vor, und es kommt zu wunderbaren Momenten, wenn sich plötzlich Kreise schließen und Verbindungen sichtbar werden. Aha, darum also.

Warum Politik zur Zeit spannend ist? Es sind neue Figuren in der Fernsehserie aufgetaucht, neue Fragen, die noch nicht x-mal diskutiert worden sind. Die Folgen von Gentechnik und Robotik, die neue Definition von Bildung, der Einfluss von Internet und Börse auf die Gesellschaft, und die Frage, wie die Rolle der Wissenschaft gerade neu festgelegt wird. All diese Themen liegen wie bei einem Kartenspiel ausgebreitet auf dem Tisch. Noch werden sie gemischt, aber schon bald werden sie verteilt. Noch ist nicht entschieden, bei wem welche Karte landet. Werden die Grünen eine Pro- oder eine Anti-Biotechnologie-Partei? Wird sich die SPD, die einst gefordert hat, mehr Demokratie zu wagen, auch mehr Demokratie im Internet unterstützen? Und wie verhält sich die CDU zur Macht der Börse, schützt sie die Kleinanleger, oder setzt sie auf den freien Markt?

Wer das Internet nutzt, kennt so genannte Suchmaschinen, die nach Eingabe eines Begriffs mehrere Möglichkeiten anbieten; Wege, auf denen man entlanggehen kann, um ein Ziel zu erreichen. Ein Ziel, das man beim Beginn der Suche oft gar nicht kennt. Man kann zurück- und vorklicken, zum Beispiel, wenn man feststellt, bei einer toten, unwichtigen oder ganz einfach falschen Adresse gelandet zu sein. Die Politik verhält sich genauso, es wird gesucht und geklickt, vor und wieder zurück. Nur wenige trauen sich, auch öffentlich über die neuen Entwicklungen zu staunen, wie Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer, als sie in einem "FAZ"-Interview mit der Geschichte der BSE-Forschung in Großbritannien konfrontiert wurde - und wie lächerlich wenig Unterstützung sie bekam von der britischen Regierung.

Den Kollegen von Andrea Fischer geht es ja nicht wirklich anders. Auch sie stehen staunend vor dem Themenberg: Nur geben sie es nicht zu. Kaum einer mag sich jetzt schon endgültig auf eine Position festlegen lassen, es könnte ja alles anders kommen. Ob man etwa gesetzlich gegen Versicherungen vorgehen soll, die ihren Kunden günstigere Angebote machen möchten, wenn die sich vorher genetisch untersuchen lassen? Früher wäre einem die Antwort leichter gefallen, das Stichwort vom gläsernen Menschen wäre aufgetaucht, Ende der Diskussion. Aber heute? Wenn es an das eigene Geld geht? Ist eine Gen-Karte dann vertretbar oder nicht?

Zum ersten Mal seit Jahren also hat wieder eine Serie bei Folge Null angefangen. Zum ersten Mal sind Wähler und Politiker, junge und alte gleichermaßen, auf dem selben Stand - etwas vereinfacht ausgedrückt. Alle können mitreden, nur einige wenige Wissenschaftler haben einen Wissensvorsprung. Und zum ersten Mal kann die Politik nicht auf jahrzehntelang eingespielte Floskeln zurückgreifen, sich in Anspielungen verlieren, die viele außerhalb der Insiderkreise nicht verstehen - oft ja auch nicht verstehen sollen. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum viele Politiker sich noch nicht hinaus trauen auf die neuen Gebiete: Sie müssen dazu erst einmal eine neue Sprache finden.

Amerikanische Robotik-Experten haben längst zugegeben, dass ihr Weltbild von Science-Fiction-Serien wie "Raumschiff Enterprise" beeinflusst ist. Es wird also Politiker brauchen, denen diese Welt nicht mehr ganz fremd ist. Da haben Jüngere einen Wissensvorsprung, den sie nutzen sollten. Sie werden diese Kenntnisse brauchen, um zu verstehen, wie die Wissenschaftler vorgehen, die gerade die Welt verändern.

Wie also geht diese Serie aus? Es ist wie in einem Abenteuer-Computerspiel, mehrere Mitspieler sind soeben losgezogen, Parteien und Politiker, mit dem Wunsch, als Erster ins Ziel zu kommen. Die nächste Folge davon schon morgen, auch in dieser Zeitung.

Christoph Amend

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