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Meinung: Die Jugend Serie: Auf der Suche nach dem verlorenen Ernst

As der junge Dichter Benjamin von Stuckrad-Barre neulich in einer Fernseh-Talkshow zu Gast war und gefragt wurde, was er denn davon gehabt habe, in einem Pastorenhaushalt aufgewachsen zu sein, da wurde er sehr ernst und antwortete: Moral. Moral, zumindest als angebotenes Modell, das hätte er davon gehabt.

As der junge Dichter Benjamin von Stuckrad-Barre neulich in einer Fernseh-Talkshow zu Gast war und gefragt wurde, was er denn davon gehabt habe, in einem Pastorenhaushalt aufgewachsen zu sein, da wurde er sehr ernst und antwortete: Moral. Moral, zumindest als angebotenes Modell, das hätte er davon gehabt. So.

Es wurde augenblicklich still im betulichen Publikum ringsum, wo man dem Auftritt des vorlauten Schriftstellers bis dahin amüsiert gefolgt war. Alle waren ehrlich entsetzt über den Ton, der da ohne Vorwarnung angeschlagen wurde, und für einen Moment sogar bereit zum Gegenangriff, zum Auflachen. Doch man besann sich. Das Wort, das da gefallen war, war so unheimlich, dass jede prompte, jede fernsehgerechte Reaktion unangemessen gewesen wäre. Das hätte nicht gereicht. Man hätte schon ein Seminar abhalten, sich den Bengel vorknöpfen müssen, gründlich.

Dann hätte man nicht nur etwas über Stuckrad-Barre erfahren, sondern womöglich auch einiges über die Generation gelernt, die hunderttausendfach seine Bücher kauft und als deren Kronzeuge und Einflüsterer er deshalb getrost gelten kann: die Zwanzig-, Dreißigjährigen. Aber sind sie wirklich moralisch, die Jungen?

Die Fernseh-Szene war nicht deshalb so gespenstisch, weil in ihr das allgemeine und dauernde Unbehagen an den besserwisserischen Jungen aufblitzte; sondern weil die Alten im Publikum hier mit etwas geärgert wurden, was sie für ihren unveräußerlichen Besitz halten, etwas, was synonym mit ihrer Autorität ist: gut sein, besser sein. Früher war doch alles besser, auch man selber.

Ohne Marx und Marcuse

Die Szene war gespenstisch, weil das Publikum darüber erschrak, dass es dieses Gefälle längst nicht mehr gibt. Die Jungen grapschen nach der Deutungshoheit über Begriffe, die ihnen, den unerfahrenen Nichtwissern, nicht gehören. Eben weil sie unerfahren sind.

Der Vorwurf ist alt. Aber den Jungen von heute wird nicht nur ihre Jugend um die Ohren gehauen, quasi strafverschärfend wird an ihnen auch eine profunde Theorieunkenntnis diagnostiziert. Hochschullehrer, die ihren Marx und ihren Marcuse seinerzeit schon zum Abitur intus hatten, beklagen das.

Doch Lesefaulheit und Unwissen sind keine Argumente gegen, zum Beispiel, ein Gerechtigkeitsempfinden. Der Vorwurf bemäntelt nur das fragwürdige und spezielle Selbstverständnis vom Monopol auf die Moral, das sich die Jugendkritiker von heute leisten. Das haben sie sich vor drei Jahrzehnten dauerhaft gesichert, glauben sie. Schließlich war das Moral-Vakuum bei den eigenen Eltern der Hauptantrieb für alles, was sie taten.

Was ist neu am Gut-Sein der Jungen? Ihre klassischen Wortführer, die Pop-Gruppen, landeten schon immer Hitparadenerfolge mit Liedern für das Gute, gegen Atomkraft, Nachrüstung und Gewalt. Das war gut und ernst gemeint, war - und das ist der Unterschied - konkret-politisch und aktuell.

Heute, in der Zeit nach Bap und Bots und Pur, ist es möglich, auch Verschraubt-Abstraktes wie die Menschenwürde zu behandeln, zum Beispiel ein vollkommen unpeinliches Lied in die Charts zu bringen, in dem um Anteilnahme gegenüber Altenheim-Bewohnern gebeten wird.

Und: Schriftsteller, Autoren, Journalisten haben die bunten Vögel als Berichterstatter der jugendlichen Lebenswelt teilweise abgelöst. Das sind Indizien des Innehaltens und der Besinnung, aber auch eines gefühligen Ernstes. Der Ernst ist bisher nicht mehr als eine Behauptung. Wie das Gut-Sein nur ein Wunsch ist.

Gorbatschow und Gentechnik

Bis auf zwei Mal - der Aufstieg Michail Gorbatschows und der Fall der Berliner Mauer - kamen Verantwortung, Vernunft und Güte in der Politik-Wahrnehmung der Zwanzig-, Dreißigjährigen nicht vor. Sie vermissen das und wollen es in ihr Leben holen, schon deshalb, um sich selbst ernst nehmen zu können. Sie wissen aber noch nicht, wie weit sie dabei gehen sollen.

Deshalb reden sie vorerst lediglich darüber. Das tut nicht weh, und sie können sich vortasten. Sie reden in den Bars, in die sie gehen, in den Caféterien der Universitäten, im Fernsehen. Sie reden über die Freundschaft, die sie wichtig finden, äußern sich besorgt über die Gefahren der Gentechnik, und, wenn sie sich auskennen, vielleicht auch über die globalen Finanzmärkte und das Unheil, das der ungehinderte Geldfluss anrichten kann. Alles aus Gefallen an der Sorge darüber, dass das Leben einst weniger hübsch und angenehm werden könnte, als es heute ist.

Über das pure Aufsagen geht das nicht hinaus. Die Jungen lieben ihre Freunde nicht mehr als die Alten ihre. Sie kaufen Gentomaten, und sie würden, wenn sie Geld hätten, durchaus damit spekulieren. Sie opfern nichts, sie wagen nichts, im Gegensatz zu ihren Professoren, die einst als Studenten Zeit drangaben an ihre Lektüre und Entrüstung, die sich auf Demos mit Wasser bewerfen ließen und die Exmatrikulation riskierten.

Die Jungen opfern nichts - damit sind sie so wie alle anderen. Nicht schlechter. Sie wollen aber um keinen Preis so sein wie alle, deshalb reden sie dauernd. Dafür brauchen sie das Publikum, die Talkshows. Ohne Publikum geht das Parlieren nicht. Sie wollen gut sein, weil die anderen es gerade einmal nicht sind.

Das ist alles; Abgrenzung, das alte Lied. Nicht mit Ideologie, nicht mit Kaufen, sondern diesmal mit Werten. Die Codes wechseln, die Ambitionen nicht.

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