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Meinung: Die Kunst der SelbstverständlichkeitKinder brauchen Vertrauen und Zeit,

Erziehung, Werte, Orientierung – ein Themenkomplex von grundsätzlicher gesellschaftlicher Bedeutung – ist ins Zentrum der öffentlichen Diskussion gerückt. Endlich, möchte man sagen.

Erziehung, Werte, Orientierung – ein Themenkomplex von grundsätzlicher gesellschaftlicher Bedeutung – ist ins Zentrum der öffentlichen Diskussion gerückt. Endlich, möchte man sagen. Viele Jahre lang wurden Fehlentwicklungen mehr gespürt als thematisiert. Erzieherinnen an Kindergärten, Lehrerinnen an Schulen, Meister in Lehrwerkstätten – sie alle berichteten von gravierenden Veränderungen im Verhalten von Kindern und Jugendlichen und bei deren Leistungen. Doch es dauerte Jahre, bis sich herausschälte, welche Dimension die Probleme inzwischen angenommen hatten, die unter anderem in der so genannten Pisa-Studie ihren Ausdruck fanden. Und erst jetzt wird so breit über die möglichen Ursachen diskutiert, wie es im Interesse unserer Kinder nötig ist.

Neben den Überlegungen, wie sich Wissen besser vermitteln lässt, taucht eine Frage auf, die uns Eltern ängstigt: Erziehen wir unsere Kinder richtig? Und: Woher soll man wissen, was richtig ist.

Ich glaube, dass die allermeisten Eltern sich nichts so sehr wünschen, als dass aus ihren Kindern stabile, selbstbewusste, mitfühlende, frohe und lebenstüchtige Erwachsene werden. Aber die Probleme beginnen für viele junge Eltern schon nach der Rückkehr aus der Klinik: Wie reagieren auf Einschlafprobleme, wie umgehen mit der eigenen Erschöpfung? Früher konnte man in einem größeren Familienverbund, in einer durchlässigeren Nachbarschaft wertvolle Hinweise im Vorübergehen aufsaugen, Erfahrungen adoptieren. Aus der heutigen Rentnergeneration machten viele ihre ersten Erfahrungen im Umgang mit Kindern bereits, als sie selbst noch Kinder waren und das Wort „babysitten" noch nicht Eingang in unsere Sprache gefunden hatte. Nicht alles, was sie quasi nebenbei kennen lernten oder einübten, war aus unserer heutigen Sicht richtig. Doch: Ein Gefühl für Kinder, fürs Erziehen konnte entstehen.

Vielen jungen Müttern und Vätern fehlt heute dieses innere Gerüst. Über Bücher und Zeitschriften versuchen sie es sich intellektuell anzueignen. die Verwirrung nach Lektüre all dieser Ratgeber ist allerdings oft größer als vorher. Mir scheint, dass es eine große Hilfe wäre, wenn man sich – ganz unakademisch – erst einmal über die Ziele von Erziehung Gedanken machte, und dann über die Wege. Wenn es, Jahrzehnte nach dem Streit über autoritäre oder anti-autoritäre Erziehung, möglich wäre, einen Konsens über gewisse „Leitgedanken" zu finden. Man kann auch „Werte" sagen.

Für eine Gesellschaft, die immer älter und damit auch hilfsbedürftiger wird, ist Mitgefühl wohl ein Schlüssel-Wert. Eine Gesellschaft, die aus Menschen mit so unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründen besteht, braucht eine Erziehung zur Toleranz. In einer Welt, in der wir mit viel „Fremdem" konfrontiert werden, braucht es Selbstbewusstsein, um nicht ängstlich zu werden, um Konkurrenz – national oder international – nicht zu fürchten. Liebe, Vertrauen, Zuverlässigkeit und Zeit, die wir unseren Kindern schenken, zeigen ihnen, was sie uns wert sind.

Aber gerade die Zeit ist für viele Mütter und Väter – allein erziehende zumal – ein Hauptproblem. Die Gesellschaft kann es den Eltern nicht abnehmen, ein Fundament an Orientierung und Erziehung aufzubauen. Das können Eltern auch nicht wirklich wollen. Auf der anderen Seite ist Erziehung nicht nur Privatangelegenheit der Eltern. In Kindergärten und Schulen muss weitergebaut werden auf dem Fundament, das in der Familie gelegt wurde. Weil die Vermittlung von immer mehr Wissen in der modernen Welt auch immer mehr Zeit verschlingt (z.B. Computer-Unterricht), braucht es eine Ausweitung der Wochenstunden, wenn Schule darüber hinaus auch noch Sozialverhalten trainieren oder Medienkompetenz vermitteln soll.

Ich würde mir wünschen, dass Eltern und Lehrer in phantasievollen Aktionen das Lesen fördern. Es muss ja nicht dabei bleiben, dass viele Kinder mehr Computerspiele besitzen als Bücher. Es muss nicht dabei bleiben, dass Kinder die „Helden" von TV-Zeichentrickserien kennen, bevor sie deren n richtig aussprechen, geschweige denn schreiben können, dass sie das Programm auswendig wissen, bevor sie lesen können.

Der geplante Ausbau von Ganztagsschulen wird sicher Spielraum für Schüler und Lehrer sowie Entlastung für Eltern schaffen. Er wird für alle Erziehenden auch mehr Raum schaffen, um die Werte zu vermitteln, die wir unseren Kindern als Rüstzeug für die Zukunft mitgeben wollen. Es liegt an uns.

Die Autorin, 38, ist Journalistin und Schirmherrin, unter anderem der Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendtelefon „Nummer gegen Kummer" (0800-1110333) sowie des „Elterntelefons" (0800-1110550), die Anrufern kostenlos und anonym Rat bieten. Foto: Ullstein/Unkel

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