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Meinung: Die Kunst, Ja zu sagen

Programmatisch sind die Grünen gut gerüstet, strategisch nicht

Von Hans Monath

Die kurze Silbe, die Braut und Bräutigam mit pochendem Herzen und trockenem Mund vor dem Standesbeamten aussprechen, sie ist den Grünen am Wochenende verboten: Einfach Ja sagen zu den Sozialreformen der eigenen Regierung, das dürfen die Delegierten des Parteitags am Wochenende in Cottbus keinesfalls. Selbst dann nicht, wenn sie am Ende einer erfolgreichen Veranstaltung mit der Agenda 2010 als politischem Lebensabschnittsgefährten nach Hause fahren. Die Grünen müssen das Kunststück fertig bringen, sich zur Agenda zu bekennen, ohne ihre Freiheit aufzugeben.

Diese Leistung verlangt nicht nur der Stolz der Debattenpartei, die nicht als Abnicker von Kanzler-Vorgaben dastehen will. Das verlangt auch die Basis, die in ihrem Reformwillen noch nicht so weit ist wie Fraktion und Parteispitze. Und da sind die ehrgeizigen Ziele: Die Freiheit, die die Grünen sich nehmen müssen, ist die Freiheit zu mehr Reformen. Denn die Agenda ist erst der Anfang.

Dabei ist die Partei besser vorbereitet auf Reformen als die SPD. Die Senkung der Lohnnebenkosten, wichtiges Agenda-Ziel, hatten die Grünen schon in den Koalitionsverhandlungen verlangt. Sie scheiterten damals an der SPD. Und auch ihr Grundsatzprogramm liefert Antworten darauf, wie soziale Sicherheit in Zeiten der Individualität buchstabiert werden kann. Darin bekennen sich die Grünen zu einem Gerechtigkeitsbegriff der Teilhabe, der den Zugang zu gesellschaftlichen Chancen in den Mittelpunkt stellt – nicht die staatliche Versorgung durch die alte Verteilungsgerechtigkeit.

Trotzdem bestimmen nicht die neuen Angebote der Agenda für bislang nur verwaltete Arbeitslose die Debatte. Die Emotionen der Parteilinken entzünden sich genau wie bei der SPD im Streit um Instrumente der klassischen Verteilungsgerechtigkeit: Wo kann der Staat noch etwas holen?

Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Grünen sich in Cottbus ohne große Verbindlichkeit für eine Vermögensteuer aussprechen. Entscheidend wird sein, ob ihnen das erlaubt, mit der Illusion nach Hause zu fahren, man könnte durch das Melken echter oder vermeintlicher Vermögen den Menschen notwendige Einschnitte ersparen. Die Voraussetzungen der Partei, einer solchen Selbsttäuschung zu entgehen, sind im Grunde günstiger als die der SPD.

So gut gerüstet für Reformen die Grünen sind, so schwierig ist ihre strategische Lage: Star Joschka Fischer ist geschwächt durch die Debatte um seine Europa-Pläne. In Nordrhein-Westfalen bleibt die Partei abhängig von einem unwilligen SPD-Regierungschef, der mit einem Koalitionsbruch auch Rot-Grün in Berlin erschüttern kann. Im Reformtempo der Regierung schließlich ist die Partei angewiesen auf die Lernfähigkeit der langsameren SPD. Beide Parteien müssen auf die Union zugehen, um die Agenda durch den Bundesrat zu bringen, den Grünen droht dabei die Marginalisierung. In Düsseldorf schließlich mag Schwarz-Grün eine Alternative sein, in Berlin ist es das noch sehr lange nicht. Denn bei allen rot-grünen Gewinnerthemen der Bundestagswahl waren Grüne und Union gegeneinander aufgestellt. Cottbus kann ein Erfolg werden. Doch diese Zwänge könnte der Parteitag selbst dann nicht aufheben, wenn er zu hundert Prozent für ein Zukunftsprogramm votierte.

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