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Die Linken im Westen: Rote Versuchung

Die Wahlen in Niedersachsen und Hessen haben Signalwirkung - vor allem für die Linken.

Um wirklich einschätzen zu können, was die guten Ergebnisse in Hessen und Niedersachsen für die Linken und damit eben auch für mögliche Parteienbündnisse der Zukunft bedeuten, muss man einmal etwas zurückschauen. Begleitet hat die Partei während all ihrer semantischen Metamorphosen stets zweierlei: die Behauptung ihres Übergangs- beziehungsweise Ausnahmestatus, und die Anerkennung ihrer Integrations- beziehungsweise Kanalisierungsfunktion. Verändert hat sich allerdings bei ihrem langen Marsch Richtung Westen, der tatsächlich mühsam war, zuweilen von fatalistisch-trotzigen Kapitulationsgesängen selbst ihrer Vorsitzenden getragen, die Schnittmenge der Zielgruppe. Wurde zunächst zu ihrer Existenzbegründung auch in den Reihen bürgerlicher Parteien anerkannt, dass die damalige PDS vor allem enttäuschte Ostdeutsche immerhin pro forma ins rechtsstaatlich-demokratische System überführte, gilt das gleiche nun in Bezug auf die vermeintlichen oder tatsächlichen Verlierer einer ganz anderen Wende: derjenigen hin zu den Agenda-Reformen.

Wurden die Sozialisten in den ersten Jahren des vereinten Deutschlands noch als SED-Zombies angesehen und in den Parlamenten, in die sie es schafften, mit Kontaktsperre belegt, führte eine Art politischer Desensibilisierung mit zunächst kleinen Dosen roter Beteiligung in den Gremien zu einem Abklingen der allergischen Reaktionen. Spätestens als Klaus Wowereit sich von der PDS erst tolerieren ließ und dann eine Koalition mit ihr einging, stand das Kernargument für eine Zusammenarbeit fest: unschön zwar, das Ganze, aber letztlich ein Dienst an Deutschland – wegen der integrierenden, vereinigenden Wirkung.

Diesem regierungsbildenden Schönmalen einer weniger schönen Wirklichkeit werden sich die Sozialdemokraten auf mittlere Sicht auch in den westlichen Ländern nicht entziehen wollen. Die Versuchung ist da, sie ist groß, und die wahlkämpferische Abwehrreaktion ist relativ leicht zu behandeln mit dem gleichen Rezept, dass schon Wowereit half: Wer die Linken in die Regierungen aufnimmt, verhindert deren Radikalisierung, fängt die Enttäuschten und Verlierer der staatlichen Knappheit im dichten Netz des Sachzwangs auf und domestiziert sie nicht zuletzt auch zu Gunsten der eigenen Partei.

Das muss noch nicht jetzt so kommen. Aber da wieder und wieder gewählt werden wird, wird es sich so ergeben. Seit gestern steht fest: Im Westen was Neues.

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