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Meinung: Die Machtwelle

Die Kanzlerin sagt endlich deutlicher, was sie von der Sozialstaatsdebatte ihres Vizes hält

Von Antje Sirleschtov

Spät, sehr spät, spricht Angela Merkel in klaren Sätzen aus, was die Chefin einer Regierung zu sagen hat, wenn eines ihrer Kabinettsmitglieder aus purem Eigeninteresse die Menschen aufeinanderhetzt und die gesamte Regierung dem Verdacht aussetzt, sie wolle rücksichtslos den Sozialstaat schleifen.

Mit seiner Hartz-IV-Kampagne hat Guido Westerwelle die so dringend nötige offene Sozialstaatsdiskussion fürs Erste zunichtegemacht und obendrein auch noch den gemeinsamen Koalitionsvertrag zur eigenen Parteiprofilierung missbraucht. Und zwar ohne glaubwürdigen Reformwillen in der Sache. So sieht es jetzt auch die Kanzlerin. Sie durfte das alles nicht länger hinnehmen, will sie nicht in die Rolle eines Feuerwehrhauptmanns geraten, dessen Brandmeister zum Brandstifter geworden ist.

Westerwelle hat versucht, sich die Regierung Merkel zunutze zu machen. Man darf so etwas nicht durchgehen lassen. Sonst gerät beim nächsten Mal nicht nur das Rathaus in Gefahr.

Lange, zu lange, sah es so aus, als wolle Merkel ihrem Vize diesen einen Fehltritt nachsehen. Nun geht sie ihn frontal an. Und zwar nicht nur wegen seines Versuchs, das wichtigste Amt in ihrer zweiten Regierung für seine persönliche Profilierung als Parteivorsitzender der FDP im Landtagswahlkampf zu nutzen, sondern grundsätzlich.

Eine „geistig-politische“ Wende hatte ihr ein Mann großspurig verordnen wollen, der noch nie in seinem Leben Regierungsverantwortung getragen hat. Zu ihren Prinzipien gehört das fette „Basta-Wort“ bekanntlich nicht.

Umso erstaunlicher, dass sie es jetzt ausspricht. Sie ist weniger an der Erscheinung der Macht als an ihr selbst als Instrument der politischen Gestaltung interessiert. Ihre eigenen Möglichkeiten zur Veränderung filtert Merkel dabei für gewöhnlich aus dem aktuellen Zustand der pluralistischen Gesellschaft heraus.

Eine an Sachfragen orientierte Strategie, die sie als „Maß und Mitte“ definiert, die (etwa in der Familienpolitik) zu manchem Modernisierungsschritt geführt und ihrer Partei zur zweiten Kanzlerschaft verholfen hat. Ganz nebenbei hat Merkel damit der CDU bis heute die Breite erhalten, die eine Volkspartei braucht und die ihr selbst weit mehr als eine Koalitionsoption offen hält. Man sollte nicht vergessen: Westerwelle braucht Merkel, sie ihn nicht.

Umso erstaunlicher ist es, wie lange Merkel den Eindruck zuließ, nicht sie selbst nutze eine höchst aktuelle gesellschaftliche Debatte über das Verhältnis von Leistungserbringern und Leistungsbeziehern für Veränderungen, vielmehr werde sie von Westerwelle zu Reformtaten angetrieben.

Schon im Regierungsbund mit der SPD hatte die Kanzlerin eine Neuordnung des Niedriglohnsektors – zu dem auch Änderungen bei Hartz-IV gehören – angekündigt und jetzt, im Bund mit der FDP, eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Nun wird sie Konkretes in der Sache liefern müssen. Und ihren Koalitionspartnern zu zeigen haben, wer der Herr, Pardon, die Frau im Hause ist.

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