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Meinung: Die neuen Enkel

Anmerkungen zum Generationenwechsel in der SPD Von Hubertus Heil

Man guckt ja manchmal, wer so nach einem kommen könnte. Und dann guckt man. Und guckt. Und guckt … und dann muss man doch weitermachen.“ Es ist gerade erst ein Jahr her, dass sich Gerhard Schröder mit diesen launigen Sätzen zur personellen Zukunft der deutschen Sozialdemokratie äußerte. Und jetzt? Jetzt muss umgekehrt die SPD ohne Schröder weitermachen. Zweierlei sprach aus Schröders Äußerungen: analytischer Scharfblick und die charakteristische Selbstgefälligkeit der so genannten EnkelGeneration. Völlig zu Recht wies Schröder auf die dünne Personaldecke der SPD in der Generation der Nach-68er hin. Doch zugleich waren seine Worte die Worte eines Politikers, der sich für unersetzlich hielt.

Jene Alterskohorte, die jetzt mit Gerhard Schröder die Brücke des Tankers SPD verlässt, war in den 60er und 70er Jahren zusammen mit Hunderttausenden ihrer Altersgenossen in die Partei eingetreten. Sie führte die Sozialdemokratie in den 80er und 90er Jahren. Die sozialdemokratische Generation, für die „der Gerd“, „der Rudolf“, „der Oskar“ und „die Heidi“ stehen, muss sich selbst fragen, warum es ihr nicht wie der SPD der Ära Brandt gelang, ebenfalls Hunderttausende junger Menschen zum Eintritt in die Partei zu motivieren. Auch Sigmar Gabriel und Ute Vogt, Olaf Scholz und Andrea Nahles haben in ihren Karrieren bis 1998 die internen Machtkämpfe bei den Jusos, den Falken sowie in den Landesverbänden und Bezirken der SPD hinter sich gebracht. Aber aus Mangel an gleichaltriger Konkurrenz waren sie dabei zu keiner Zeit demselben harten Ausleseprozess unterworfen, der ihre Vorgänger so gestählt und zugleich so egozentrisch gemacht hatte. Die politischen Säurebäder, die Schröder, Scharping, Wieczorek-Zeul und Lafontaine in den 80er Jahren durchmachen mussten, um nach vorne zu kommen, erlebte die neue sozialdemokratische Generation erst in den vergangenen sieben Jahren: Andrea Nahles musste sich nach dem Abgang des Saar-Napoleons und dem Verlust ihres Bundestagsmandats 2002 Schritt für Schritt wieder in die Führungsriege der SPD vorkämpfen.

Sigmar Gabriel hatte seine Abwahl als niedersächsischer Ministerpräsident zu verdauen – und kann nun als Bundesminister reüssieren. Olaf Scholz scheiterte als Generalsekretär der SPD, arbeitete sich jedoch durch seine Tätigkeit im Visa-Untersuchungsausschuss und in der Fraktion wieder nach vorn – und avanciert jetzt zum Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion.

Vor dieser neuen Führungsriege liegen große Aufgaben. Weil sie zahlenmäßig immer noch überschaubar ist, kann sie sich nichts so wenig leisten wie die früher übliche Selbstkannibalisierung. Vielmehr muss sich diese Alterskohorte verantwortungsvoller als ihre Vorgänger zu einem politischen Geleitzug mit dem gemeinsamen Ziel formieren, die SPD 2009 gestärkt aus der großen Koalition zu führen – angesichts der unterschiedlichen Flügel und Sichtweisen, die etwa Andrea Nahles und Sigmar Gabriel repräsentieren durchaus keine Selbstverständlichkeit. Doch diese Vielfalt muss kein Nachteil sein. Will die neue SPD noch Volkspartei sein, dann braucht sie in ihrer Führung ein breites politisches Angebot und nicht die Verengung auf einen allein kaum mehrheitsfähigen Parteiflügel.

In programmatischer Hinsicht indes darf die neue SPD auf keinen Fall hinter das zurückfallen, was Gerhard Schröder mit seiner reformpolitischen Agenda verankert hat. Sie muss auf ihrem Reformweg nicht nur weiter vorangehen – sie muss ihm auch Ziel und Richtung geben. Sie muss also leisten, was Schröder erst gegen Ende seiner Amtszeit vermochte: die soziale Idee der Reformpolitik zu vermitteln. Die Flucht vor der Wirklichkeit und die chronische Sehnsucht nach den ideologisch bequemen Oppositionsbänken, von denen aus es sich trefflich über Globalisierung und real existierenden Kapitalismus lamentieren lässt, hat Schröder der SPD gottlob abgewöhnt.

Der Autor ist SPD-Bundestagsabgeordneter aus Niedersachsen. Er ist Sprecher des „Netzwerks Berlin“. Dieser Beitrag ist eine gekürzte Fassung eines Artikels, der im November in der „Berliner Republik“ erscheint.

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