zum Hauptinhalt

Meinung: Die NS-Entschädigung: Bloß kein Sterbegeld

Eigentlich müsste dieser Artikel in zwei Farben geschrieben werden: zum einen schwarz, wie gewohnt, aber diesmal außerdem als Ausdruck von Trauer, zum anderen rot, als Zeichen der Scham. Denn was sich dieser Tage wieder beim Versuch zuträgt, Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu entschädigen - das kann einem die Schamesröte ins Gesicht treiben.

Eigentlich müsste dieser Artikel in zwei Farben geschrieben werden: zum einen schwarz, wie gewohnt, aber diesmal außerdem als Ausdruck von Trauer, zum anderen rot, als Zeichen der Scham. Denn was sich dieser Tage wieder beim Versuch zuträgt, Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu entschädigen - das kann einem die Schamesröte ins Gesicht treiben.

Wie überall, so hat auch dieser Fall seine rationale, kühle, technokratische Seite. Also: Anlass für die neue Aufregung war US-Bundesrichterin Shirley Kram, die es in der vergangenen Woche abgelehnt hatte, Sammelklagen von ehemaligen NS-Zwangsarbeitern gegen deutsche Unternehmen abzuweisen. Ihre Begründung: der noch nicht voll eingezahlte Beitrag der deutschen Wirtschaft, mit dem die Opfer entschädigt werden sollen, genau fünf Milliarden Mark. Zur Zeit der Begründung fehlten noch 1,4 Milliarden. Aber dass es erst dieses klirrenden, mutigen Spruchs der alten Richterin bedurfte, um den nötigen Druck zu machen - ist das nicht beschämend?

Die Wirtschaft fordert - wie in der mühevoll erreichten Vereinbarung über die Stiftungsinitiative vorgesehen - Rechtssicherheit gegen Klagen in den USA. Die Verfahren dort sollen abgewiesen werden. Und der Bundestag muss die Rechtssicherheit feststellen, damit das Geld an die betagten Opfer ausgezahlt werden kann. Das aber bedeutet: Weitere Verzögerungen sind nicht ausgeschlossen. Wenn das nicht beschämend ist.

Zunächst einmal wird sich Bundesrichterin Kram nicht mit einer Pressemitteilung der deutschen Wirtschaft zufrieden geben (können), die besagt, dass die Unternehmen das zugesagte Geld eingesammelt haben. Sie benötigt einen Beleg, einen Überweisungsbeleg, und auch einen neuen Antrag, um Sammelklagen ablehnen zu können. Die Wirtschaft wünscht darüber hinaus, dass eine Berufungsklage in Kalifornien abgewiesen wird. Denn Rechtssicherheit besteht aus ihrer Sicht erst, wenn dieser Fall abgeschlossen ist. Über die Klage wird frühestens Ende Juni verhandelt. Darum ist es in der Folge auch wieder ungewiss, ob der Bundestag die Rechtssicherheit noch vor der Sommerpause feststellen kann. Die beginnt Mitte Juli.

Nur hält sich der Tod nicht an Zeitpläne. In der Zwischenzeit sterben weiter Opfer. Der Grünen-Rechtsexperte Volker Beck hat Recht: Aus einer Stiftung für die Überlebenden darf keine Hinterbliebenen-Stiftung werden. Das ist auch ein klirrender Spruch. Deshalb muss in der Tat für schnelle Auszahlung vorgesorgt werden. Eine Million Anträge wird erwartet. Da stellen sich zwei praktische Fragen: Steht ausreichend Personal in Ämtern und Archiven bereit? Und können die Unternehmen jetzt so rasch wie möglich die fehlende Summe auf das Konto der Stiftungsinitiative überweisen? Vor allem das wäre ein Signal an Richterin Kram, dass im Grunde sofort ausgezahlt werden könnte.

Einen moralischen Ausverkauf dürfen Politik und Wirtschaft nicht zulassen. Von Staats wegen und aus ethischen Gründen sollten die Akteure der Wirtschaft solidarisch sein, die Betroffenen und die Nichtbetroffenen. Denn alle miteinander hätten für die Zukunft einen Vorteil, politisch und wirtschaftlich. Es geht eben nicht einfach ums Geschäft, wie das eine Reihe von Firmen glaubt. Hier geht es um Gewissen und Reputation nicht nur der Bundesrepublik als Staat - sondern auch ihrer wirtschaftlichen Elite.

Der Bundeskanzler, der die Wirtschaft angehört hat, kennt seine Verantwortung. Gerhard Schröder wird alles daran setzen, Ende des Monats nicht mit leeren Händen von seinem Treffen mit dem amerikanischen Präsidenten in Washington zurückzukehren. Und George Bush wird seinerseits mehr als bloß Sympathie für die deutsche Stiftungsinitative bekunden. Es wird eine belastbare juristische Wendung geben. Etwas anderes können sich beide nicht leisten.

Jeder Monat, jeder Tag zählt. Zur Not muss der Bundestag nach diesem Treffen, vor seiner Sommerpause doch noch die Rechtssicherheit der Unternehmen von den Auszahlungen an die Opfer trennen. Zur Not muss die Auszahlung beginnen, bevor für die Wirtschaft alles rechtlich sicher ist. Bevor es für die Opfer zu spät ist. Das ist der Preis der Scham.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false