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Meinung: Die Reform kommt als Lawine

Krankenversicherte brauchen künftig vor allem eines: Eigeninitiative

Im deutschen Kassenwesen bleibt nichts mehr, wie es war. Ob Techniker Krankenkasse oder Barmer Ersatzkasse – mit ihren neuen Rabattmodellen sprengen die beiden Großen den Rahmen des bislang in der gesetzlichen Krankenversicherung Üblichen. Und lösen damit eine Kettenreaktion in der Branche aus. Denn die Wettbewerber beobachten mit großem Interesse, wie die neuen Beitragsmodelle bei der Aufsichtsbehörde, der Gesundheitsministerin und beim Kunden ankommen.

Rabattmodelle, mit denen Versicherte belohnt werden, die selten zum Arzt gehen, hält Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt für unsolidarisch. Die Kunden sehen das anders. Die überwältigende Resonanz auf das Techniker-Modell zeigt, dass die Beitragszahler für die Wende im deutschen Gesundheitswesen mehr als bereit sind. Denn den Versicherten ist längst klar, was die Ministerin noch immer leugnet: Die Gesundheitskosten steigen, und sie werden das auch in Zukunft tun. Die Deutschen werden immer älter und nehmen immer länger mehr medizinische Leistungen in Anspruch. Das muss bezahlt werden.

Fragt sich nur, von wem. Besonders junge Versicherte, die selten krank sind, haben keine Lust mehr, solidarisch für andere mitzuzahlen. Bislang hatte diese Klientel aber gar keine andere Wahl – außer dem Wechsel in die private Krankenversicherung. Doch der wird immer schwerer.

Dennoch: Die Reformlawine ist nicht mehr zu stoppen. Am Ende wird ein System stehen, bei dem es gar nicht mehr wichtig ist, ob man privat oder gesetzlich krankenversichert ist. Denn ist der Damm erst einmal gebrochen, wird jede Versicherung ihren Kunden die Wahl lassen – zwischen einer teuren Vollversorgung nach heutigem Muster und günstigeren Tarifen, bei denen man vorher auswählt, welche Risiken die Kasse trägt und welche Leistungen man selbst bezahlt. Oder ob man bereit ist, gesünder zu leben, wenn dafür die Versicherung billiger wird.

Für die Versicherten heißt das: Die Wahl der richtigen Krankenversicherung wird schwieriger. Dann reicht es nicht mehr, die Beitragssätze miteinander zu vergleichen. Weil der passende Tarif sich nach den individuellen Lebensumständen und Ansprüchen richtet. Für die private Krankenversicherung bieten Verbraucherschützer und Versicherungsberater schon heute Computerprogramme, die den optimalen Tarif herausfischen. In der gesetzlichen Krankenversicherung bahnt sich Ähnliches an.

Die Beitragszahler müssen sich nicht nur über die Angebote der Kassen informieren, sie müssen sich auch Gedanken über ihr persönliches Risiko und ihren Vorsorgebedarf machen. Liegen sie damit richtig, können sie Geld sparen. Verschätzen sie sich, zahlen sie womöglich drauf.

Im Gegenzug dürften ihnen in gar nicht so weiter Ferne alle Kassen offen stehen. Denn wenn auch die gesetzlichen Kassen individuelle Tarife anbieten, wird die Schranke zwischen privater und gesetzlicher Versicherung über kurz oder lang fallen. Gesundheitsökonomen fordern schon jetzt, dass die Rosinenpickerei ein Ende haben muss und auch private Kassen verpflichtet werden sollen, jeden Kunden zu akzeptieren – fragt sich nur, zu welchem Preis und zu welchem Tarif.

Die freie Auswahl funktioniert aber nur dann, wenn sich auch das Beitragssystem ändert. Bisher zahlen Arbeitgeber und Arbeitnehmer je die Hälfte der Krankenversicherungsbeiträge. Wenn Versicherte aber durch geschicktes Verhandeln oder günstige Lebensumstände ihren Beitrag drücken können, käme das bei dem bisherigen System automatisch auch dem Arbeitgeber zugute. Denn der spart gleich mit. Konsequenz: Die Chancen für „schlechte“ und damit teuer versicherte Risiken, einen Job zu finden, sinken. Mütter oder ältere Arbeitnehmer blieben außen vor. Dies ließe sich nur ändern, indem die Arbeitgeber künftig einen pauschalen Beitrag zur Krankenversicherung zahlen. Denn: Auch in Reformzeiten muss ein Rest Solidarität bleiben.

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