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Meinung: Die Revolution frisst ihre Sieger

Drei Jahre nach Milosevics Sturz bleibt Serbien auf halbem Weg zwischen der Diktatur und der Demokratie stecken

Von Caroline Fetscher

Serbiens Bürger sind wieder mal zur Wahl gegangen. Aber sie haben schon wieder nicht gewählt. Auch im dritten Anlauf war die Beteiligung an der Präsidentschaftswahl abermals so gering, dass deren Ergebnis nicht gültig ist. Etwas mehr als ein Drittel der Wahlberechtigten gab einen Stimmzettel ab, das ist noch schlechter als bei den Kommunalwahlen in Brandenburg.

Zwar sind die Wahlurnen gläsern, aber transparent ist die serbische Politik für die Bevölkerung deshalb noch lange nicht. Viele Bürger streiken, nicht nur auf der Straße, sondern auch im demokratischen Prozess. Sie bestreiken ihr kostbarstes Gut: die Demokratie selbst, die sie sich doch erst vor drei Jahren mit dem Sturz des autoritären Slobodan Milosevics erkämpft hatten. Im Augenblick gibt es keinen Präsidenten in Serbien. Das Parlament ist aufgelöst. Zu Recht nennt der stellvertretende Premier Zarko Korac den Wahlausgang „eine Tragödie“.

Was also wollen die Serben? Sie wollen nicht mehr ganz das Alte und noch nicht richtig das Neue. Sie lähmen einander, sie lähmen sich selbst. Wie aus Trotz. Mit einer sensationellen, friedlichen Revolution schafften die Serben sich im Oktober 2000 Milosevic vom Hals. Ein Jahrzehnt der Kriege und der Lügen ging zu Ende, als der Kleptokrat dem Druck der Straße weichen musste.

Mit Recht waren viele damals stolz auf sich, auf ihr Land. Sie hatten riskiert, dass ihre eigene Armee auf sie schießen würde. Aber dank der Vermittlung von Zoran Djindjic – der dabei auch zum Mittel Bestechung gegriffen haben soll – blieben die Soldaten in den Baracken. Djindjic und die Demokratische Opposition (DOS) kamen an die Macht, durch den Druck der Massen – und einen Stillhaltepakt mit der kriminellen Halbwelt. Die ließen sie weiterleben.

„Halb“ war damals das Stichwort der Stunde, und blieb es, bis heute. Die DOS – obwohl an der Regierung – trägt bis heute das Kürzel O für „Opposition“ im Namen, und signalisiert so den nur halb vollzogenen Übergang zur Demokratie. Im März 2003 ermordeten gedungene Killer den Premier Djindjic, quasi als Stellvertreter der aufbegehrenden Masse von damals. „Halb“-herzig war auch die Aufarbeitung der Vergangenheit. Eine echte Lustration, eine juristische und öffentliche Abrechnung mit den vernetzten Verbrechercliquen der Ära Milosevic, hat es noch immer nicht gegeben. Nur einen kleinen Anlauf im ersten Erschrecken über das Attentat auf den Regierungschef. Die Reformer scheuen vor einem konsequenten Vorgehen aus Angst zurück, die Reaktionäre aus „Nationalstolz“.

Dass der schleppende Prozess gegen Milosevic vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag sich bis 2006 hinziehen kann, ist für die Reformer im Land keine Hilfe. Solange die „Slobo-Show“, wie die Live-Übertragung vom Tribunal mancherorts genannt wird, den abgesetzten Tyrannen immer noch verbal präsent erscheinen lässt, scheint er politisch fortzuleben. Und mit ihm seine Vasallen, wie jener nationalistische Kandidat, der am Sonntag die meisten Stimmen erntete: Tomislav Nikolic, Stellvertreter des in Haag inhaftierten Parteichefs der Ultranationalisten, Vojislav Seselj.

Zukunftsträume von einer Mitgliedschaft in der EU, von Investitionen aus dem Ausland und wirtschaftlichem Aufschwung rücken in die Ferne, wenn die Bürger apathisch bleiben, die die treibende Kraft bilden müssten: die Intellektuellen und die demokratisch denkenden Widersacher des früheren Regimes. Sie überlassen den Nationalisten und Tribunal-Feinden das Feld, als stünden sie unter Schock.

Die DOS hält nun Krisensitzungen ab, unter Ausschluss der Koalitionspartner, die mehr und mehr nach rechts rücken. Doch wird die DOS dadurch nicht stärker. Weil die Wirtschaft stagniert, die Reformen halbherzig bleiben, die Arbeitslosigkeit steigt. In den Kliniken müssen Patienten ihr eigenes Essen mitbringen, Gehälter für Lehrer und Beamte reichen kaum zum Leben. Die Bevölkerung erntet keinen Lohn für ihren Aufstand, sondern sieht sich im Elend. Der Mut, nach vorn zu schauen, schwindet.

Was Serbien jetzt vor allem braucht, neben starken Finanzhilfen aus dem Westen, ist die maximale moralische Unterstützung aller Demokraten im Land. Westliche Politiker müssen sich zeigen, den Demokraten den Rücken stärken und sich den Nationalisten entgegenstellen. Der jetzige Weg führt Serbien in die Isolation, nicht in EU und Nato.

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