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Meinung: Die Rückkehr der Geschichte

Leugnen schafft Kulturunterschiede nicht aus der Welt

Wenn es für die davon betroffenen Kinder nicht so schrecklich wäre, könnte man darüber lachen: Eine Schule bekommt Polizeischutz und wird vielleicht ganz aufgelöst. Endlich wehren sich Lehrer gegen den multikulturellen Traum von Politik und Wirtschaft, der für sie längst zum Albtraum geworden ist. Auf einmal nimmt eine erstaunte Öffentlichkeit zur Kenntnis, dass der atavistische Hass zwischen Arabern, Kurden und Türken den deutschen Schulfrieden stört. Und während auf schul- und landespolitischer Ebene gegenüber einem solchen kulturellen Phänomen Ratlosigkeit herrscht, beharren auf nationaler Ebene Politiker der gleichen Parteifarben auf einem Beitritt der Türkei zur EU. Denn, so eins der gängigen Argumente, auf diese Weise könnte eine europäische Türkei als Brücke in die islamisch-arabische Welt dienen, auf der sich dann diese auf Europa zubewegen.

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen. Während man mit dem Erbe jahrhundertelanger arabischer Unterdrückung durch die Osmanen in Neukölln nicht fertig wird, soll dieses Erbe künftig den Weg in die Herzen von Millionen arabischer Muslime bereiten. Nachdem die Wirtschaft in den 70er und 80er Jahren ohne Rücksicht auf die kulturellen Unterschiede billige Arbeitskräfte ins Land geholt hat – Norbert Blüm: Wir suchten Arbeitskräfte, und Menschen kamen – soll dieser Fehler im Großen wiederholt werden, obwohl man schon im Kleinen – und dagegen ist Neukölln klein – mit ihm nicht fertig wird.

Es ist die Missachtung geschichtlichen Wissens und historischer Traditionen, die die Ökonomen und die multikulturellen Grünen und Linken eint. Sie können und wollen nicht begreifen, dass man kulturelle Unterschiede nicht aus der Welt schafft, indem man sie leugnet. So wie deutsche Lehrer überfordert sind, einen sich von Generation zu Generation forterbenden Konflikt zu bewältigen, so ist Europa mit der Aufgabe überfordert, diesen Konflikt von außen zu zivilisieren.

Nun werden wieder alle möglichen Hilfsmittel angeboten – Betreuung, Integration, Spracherziehung und womöglich Fragebögen zu demokratisch-zivilisiertem Verhalten. Was die deutsche Zivilgesellschaft offensichtlich weder akzeptieren kann noch will, ist die schlichte Tatsache, dass es unlösbare Konflikte und unvereinbare historische Traditionen gibt; dass kulturelle Konstanten mit noch soviel gutem Willen von außen nicht über Nacht verändert werden können und dass die historischen Erinnerungen von Russen und Polen, Balten und Russen, Armeniern und Aserbeidschanern, Koreanern und Japanern so erfahrungsgesättigt sind, dass sie noch für Generationen der Verdrängung durch Menschenrechte und Marktwirtschaft widerstehen. Man muss sie kennen, um politisch nicht an ihnen zu scheitern. Wahrscheinlich wäre ein umfassender Geschichtsunterricht hier hilfreicher als alle möglichen neumodischen Techniken der Konfliktbewältigung.

Aber wo selbst ein Land wie Bayern darüber nachdenkt, die Arbeit der historischen Kommission nicht weiterzufinanzieren, ist das Umdenken noch weit. Deutschland hat nach 1945 seine historischen Wurzeln, die jenseits der Hitlerei lagen, ausgerissen wie das, was in den zerstörten Städten an Erinnerungen noch übrig war. Es ist deshalb schlecht vorbereitet auf die Rückkehr der Geschichte bei anderen, die mit unserer Naivität und unserem Gutmenschentum schon immer ihre Probleme hatten.

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