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Meinung: Die Stasi war ein Allesfresser

Porschs Reaktionen disqualifizieren ihn als Politiker Von Lutz Rathenow

Zuerst kam nur ein Anruf von der StasiUnterlagenbehörde aus Leipzig, ob mein Name auf einer Akte entschwärzt werden dürfte. Ja, die Behörde arbeitet korrekt. Helmut Kohl hat ihr mit seinem Urteil Persönlichkeitsschutzfesseln angelegt, die keinen wirklich schützen, aber Mutmaßungen, Verwirrspiele und Verschwörungstheorien unterstützen. Zwei Tage nach dem Fax kamen die Anrufe der Journalisten. Ich bereitete gerade einen Auftritt bei der Kultur-Arena in Jena vor. Nicht zum ersten Mal erwischt einen das Stasi-Thema im falschen Moment. Nicht nur ehemalige Stasi-IMs fühlen sich als Opfer, auch die Objekte ehemaliger Überwachung können sich von Enthüllungen genervt fühlen und sie dennoch für unvermeidbar und richtig halten.

Es geht um Peter Porsch, den PDS-Spitzenkandidaten in Sachsen. Falls jemand die IM-Vermutung aus Wahlkampfkalkulation betrieb, so könnten solche Anschuldigungen aus dem Westen im sächsischen Osten PDS-Trotz- Wähler extra an die Urnen treiben. Der Sachverhalt: Jemand hat meine Anwesenheit bei einer nichtöffentlichen Lesung in Leipzig zur Zeit der Messe bestätigt. Dieser IM Christoph, den die Unterlagenbehörde mit nicht letzter Sicherheit als Peter Porsch identifizierte, hat mir damit geschadet. Der Wohnungsbesitzerin auch, als heutige Frau Porsch möchte sie sich nicht als sein Opfer fühlen. Aber Objekt oder handelndes Subjekt der Überwachung gewesen zu sein ist keine Willensentscheidung der Betroffenen. Die Diskussion kreist bei dem Thema seit 15 Jahren auf der Stelle. Seit der Zeit sprechen intelligente Menschen Sätze aus wie „Ich habe niemandem geschadet“. Ein für jeden, der sich in gesellschaftliche Verhältnisse einmischt, völlig inakzeptabler Satz, hoffentlich gelang es mir manchmal auch Menschen zu schaden. Aber nicht durch Spitzelberichte. Man kommt sich vor wie der Lehrer einer Grundschule, der seit 15 Jahren vor ein und derselben Klasse sitzt, die älter wird aber einfach nichts dazulernen will.

Warum schadete die Mitteilung einer Teilnahme an einer nichtöffentlichen Lesung in der DDR? Nicht nur wegen möglicher Geldstrafen, die zur gleichen Zeit gegen andere verhängt worden sind. Auch wenn 30 Menschen anwesend waren, so hat erst der 31. als Berichterstatter alles zum aktenkundigen Sachverhalt, zum möglichen Beweismittel gemacht. Das Zusammensein mit West-Journalisten (ungesetzliche Verbindungsaufnahme), die Präsenz in einer DDR-Wissenschaftlerwohnung (aha, der sucht Einflussmöglichkeiten bei der normalen Bevölkerung) – jede Information stellte für die Stasi ein Puzzlestückchen für Maßnahmepläne dar, die kein Informant mehr beeinflussen konnte.

März 1984? Die Pantomimengruppe des Studententheaters Leipzig probte mein Stück „Keine Tragödie“ – im Juni wurde es nach der Generalprobe abgesetzt, der Vertrag des Regisseurs Uli Hoch gekündigt, die Gruppe aufgelöst. Durch Westveröffentlichungen über diesen Vorgang empört, plante das MfS laut Akten wieder einmal die Vorbereitung meiner Verhaftung, die durch permanente Westöffentlichkeit doch wieder verhindert worden ist.

Peter Porsch sagt erst einmal nichts mehr. Seine Partei steht zu ihm und bekundet Solidarität mit Floskeln, die an die „unverbrüchliche Freundschaft“ mit der Sowjetunion erinnern. Wollte da einer Offiziere, mit denen er zu selbstverständlich sprach, nicht als Offiziere wahrnehmen? Wer aus Wien als Nichtprominenter in die DDR übersiedelte (ohne in das übliche Übersiedlungslager zu müssen?!) litt vielleicht unter eingeschränkter Beurteilungskompetenz für die Folgen seines Handelns in der DDR. Das könnte man zugeben. Es zu leugnen berührt wiederum die Wahrnehmungs- und Problemkompetenz heute.

Man klammert sich verbissen an seine Vergangenheit, als ob sich daraus eine Zukunft herauspressen ließe. Porschs Reaktionen und die seiner Partei sind menschlich verständlich, sie disqualifizieren einen aber als Politiker. So wie andernorts das Leugnen unleugbarer Parteispendenaffären auf eine ganz andere und doch nicht gänzlich unähnliche Art und Weise. Die Vergangenheit könnte längst vergangen und vergeben sein, würde sie nicht durch die Verdrängungskapriolen der Erinnerungsverweigerer ständig neu reaktiviert.

Der Autor ist Schriftsteller und DDR-Dissident. Mit dem Thema Stasi setzt er sich auch in „Fortsetzung folgt. Prosa zum Tage“ (Landpresse) auseinander.

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