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Genialer Unfug - daraus wird manchmal beste Unterhaltung.

© dpa

Die Zukunft des Fernsehens: Frei von Angst, frei von Quoten

„Wetten, dass..?“ wird eingestellt. Kapituliert das Fernsehen, verliert es seine Bedeutung? Nein, vielleicht fängt es jetzt erst an, seine Chancen zu nutzen. Es wäre der Anfang für eine neue Freiheit.

Um keine Missverständnisse entstehen zu lassen: Ich liebe das Fernsehen. Deshalb schreibe ich darüber. Und nicht, weil ich alles, was uns das Fernsehen zeigt, für eine Zumutung halte. Denn das Fernsehen – und wir blenden für die Dauer dieses Textes mal jeden kulturpessimistischen Ansatz aus – war immer auch: eine Sehnsuchtsmaschine. Eine Maschine, die uns dabei half, unsere Wünsche zu formulieren, unsere Träume zu konstruieren.

Und tatsächlich kannte das Fernsehen unsere Wünsche und unsere Träume, bevor wir sie kannten. Als Mitte der 80er Jahre die US-Serie „Ein Colt für alle Fälle“ im ZDF lief, wussten Tausende von Jungs plötzlich, dass sie eigentlich Stuntman werden wollen; einige Jahre später verliebten sich diese Jungs in Sophie Marceau, weil sie sie in dem Film „La Boum“ im Fernsehen sahen; das Wissen über Popmusik kam nicht vom Plattenhören, sondern vom MTV-Gucken. Und „Wetten, dass..?“ war für uns Kinder der 80er Jahre die Show, die unser kleines Leben plötzlich groß machte. Und die dafür mitverantwortlich ist, dass eine ganze Generation dem Fernsehen dankbar ist – weil das Fernsehen die Welt nicht zeigte, wie sie ist, sondern wie sie sein könnte. Und so hat das Fernsehen an der Biografie jedes Einzelnen mitgeschrieben, vielleicht lässt uns deshalb das Ende von „Wetten, dass..?“ nicht kalt – und vielleicht muss man deshalb, wenn man über das Fernsehen schreibt, persönlich schreiben.

Fernsehen berührt einen, amüsiert einen, schockiert einen

Ich erinnere mich an eine Reportage über ein Contergan-Kind, sie hieß, glaube ich, „Auf den Schultern eines Riesen“, ich war sechs oder sieben Jahre alt, und ich weigerte mich, ins Bett zu gehen, obwohl ich musste, und ich sah diese Reportage und weinte vor dem Fernseher, weil mich die Bilder, das Leben dieses Jungen, der in meinem Alter war, so sehr berührten. Ja – auch das war das Fernsehen, und wenn man jetzt, wo das Fernsehen all das nicht mehr zu sein scheint, über das Fernsehen schreiben soll, dann kann man das nur in der ersten Person tun. Weil das Fernsehen – abseits der Quote, abseits des Begriffs „Massenmedium“ – immer den einzelnen Zuschauer trifft und betrifft. Fernsehen berührt einen, amüsiert einen, schockiert einen – es „macht“ etwas mit einem, im Guten wie im Schlechten. Natürlich kann es einen auch dümmer machen – aber es kann einen eben auch schlauer machen, witziger – es kann unsere Sicht auf die Dinge auf den Kopf stellen, uns Neues zeigen. Anders ausgedrückt: Das Fernsehen lässt einen niemals im Stich.

Das Ende von "Wetten,dass...?" - eine Art Erlösung

Nur glaubt das Fernsehen eben jetzt, dass wir es im Stich lassen würden; so jämmerlich las sich die Presseerklärung des ZDF vor einer Woche, nachdem Markus Lanz mit dem schlichten Satz „Wir sehen uns am 4. Oktober zu den drei letzten Ausgaben von ,Wetten, dass..?’“ für eine Art von Erlösung gesorgt hatte, zumindest für sich selbst. In der offiziellen Erklärung dann schien der ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler die Schuld für das Ende von „Wetten, dass..?“ einer Naturkatastrophe geben zu wollen – um ja nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, die, die das Fernsehen machen, könnten es schlichtweg nicht. Himmler sagte: „In den letzten Jahren hat sich im Showbereich sehr viel verändert. Das trifft alle Sender und Unterhaltungsprogramme, besonders hart aber ,Wetten, dass..?’ als traditionsreichste Show in Deutschland.“ Das mit der Naturkatastrophe ist die eine Lesart. Die andere: Schuld sind die bösen, ungezogenen Zuschauer, die einfach nicht gucken wollen, was wir ihnen zeigen möchten.

Nun hat jedes Land nicht nur das Fernsehprogramm, sondern auch die Zuschauer, die es verdient, und möglicherweise ändern sich die Interessen der Zuschauer schneller als die Kreativität der Fernsehmacher. Daraus aber einen Bedeutungsverlust des Mediums Fernsehen herauslesen zu wollen, greift zu kurz, denn dem Bedeutungsverlust, den manch einer erkennen will, stehen andere Zahlen gegenüber: In nahezu jedem deutschen Haushalt steht ein Fernseher, zur kommenden Fußballweltmeisterschaft werden sich wieder viele einen neuen, größeren, flacheren anschaffen. Wer also nun – zumal als Fernsehmacher – derart argumentiert, wie Norbert Himmler das tat, der zeigt vor allem mangelnden Gestaltungswillen. Die Pressemitteilung in seinem Namen war in Wirklichkeit eine Kapitulation.

Vor wem kapituliert das Fernsehen?

Man fragt sich nur: Vor wem oder was kapituliert das Fernsehen eigentlich gerade? Vor dem Internet? Oder vielleicht doch eher vor der eigenen Ideenlosigkeit? Denn das ist der Eindruck, den die Programmverantwortlichen zurzeit machen: Sie sitzen in ihren Büros wie das Kaninchen vor der Schlange und erkennen nicht, dass die Schlange ihr eigenes Spiegelbild ist.

Dabei vergessen Fernsehmacher und Zuschauer auch eines: So schlecht, wie manch einer das deutsche Fernsehen sieht, ist es nicht. Wir haben eine großartige Riege neuer Unterhalter wie Jan Böhmermann, Klaas Heufer-Umlauf, Joko Winterscheidt, Olli Schulz, die sehr vieles anders machen, was in dem Fall auch heißt: besser. Wir haben Ingo Zamperoni, der zwar noch nicht als erster Moderator durch die „Tagesthemen“ führen darf (was nur eine Frage der Zeit ist), der aber die Art und Weise, wie Nachrichten transportiert werden, verändert (Ähnliches wird bald auch Christian Sievers gelingen). Wir haben mit Jochen Breyer seit langer Zeit mal wieder einen Sportmoderator, der von seinem Gegenüber nicht wissen will, was er gerade fühlt (sein Aussetzer mit Jürgen Klopp muss man dem Mann, er ist 31, verzeihen). Wir haben einen Mann wie Manuel Möglich, der auf ZDFneo das Format der Reportage revolutioniert. Wir haben den „Tatortreiniger“, wir haben die „heute show“, wir haben die Ideenschmiede Brainpool (der nicht alles gelingt, aber sehr viel). Wir haben den „Polizeiruf“ aus Rostock, wir haben tolle Schauspieler, ambitionierte Reporter, investigative Formate, interessante Filmemacher, gute Drehbuchschreiber.

Programm mit Anspruch braucht Zuschauer mit Anspruch

Was allerdings auch stimmt: Fernsehschauen ist eine komplizierte Angelegenheit geworden – eben auch, weil es längst keine Pflichtveranstaltung mehr ist, sondern eine freiwillige Angelegenheit. Niemand „muss“ mehr fernsehschauen – aber er kann. Wenn man so will, ist Fernsehschauen schon längst interaktiv, denn es fordert vom Zuschauer eine gewisse Form von Informiertheit – sich durch eine Unzahl von Programmen zu kämpfen, ist eben schwieriger, als sich zwischen drei Programmen für eines zu entscheiden. Zudem gibt es Sendungen, deren Genuss voraussetzt, dass man ein bisschen was weiß über das Leben und die Verhältnisse: Die besten Momente von Harald Schmidt konnte nur begreifen, wer über einen gewissen Grad von Allgemeinbildung verfügt. Ähnlich funktioniert die „heute show“ im ZDF: Programm mit Anspruch braucht den Zuschauer mit Anspruch; mit anderen Worten: Das Fernsehen sollte seine Zuschauer nicht unterfordern.

Fernsehen, das 2014 wie 2014 aussieht

Und so schön es manchmal ist, sich an das Fernsehen seiner Kindheit zu erinnern – es bleibt halt das Fernsehen von gestern. Ich will nicht das Fernsehen meiner Kindheit zurückhaben, ich brauche kein „Wetten, dass..?“, in dem ein pixelanimierter „Ted“ mir ein Ergebnis verkündet. Ich brauche auch keinen Zini aus „Spaß am Dienstag“ und auch kein „Western von gestern“. Ich brauche ein Fernsehen, dass 2014 aussieht wie 2014 – nicht wie eine Erinnerung an Zeiten, in denen manche Sendungen über 20 Prozent Marktanteil hatten. Die sind vorbei – da hat Himmler recht: Die Sehgewohnheiten verändern sich. Aber indem man das wie ein Mantra wiederholt, macht man es nicht mehr rückgängig. Menschen zappen, sie daddeln mit ihren Smartphones rum, und wenn sie eine Sendung auf dem Computer, in der Mediathek sehen, dann sitzen sie meistens, während sie vor dem Fernseher eher liegen. Damit muss man als Fernsehmacher umgehen – und nicht beleidigt den falschen Rückschluss ziehen. Wenn man nicht mehr 13 Millionen zum Einschalten bringt, sondern nur noch sechs Millionen, dann macht man eben ein gutes Programm für die. Das muss dann nicht mehr, wie eine durchschnittliche „Wetten, dass..?“-Folge, 2,5 Millionen Euro kosten.

Eine Ausgabe der Sendung „Neo Magazin“, die Jan Böhmermann moderiert und die gerade den renommierten Grimme-Preis gewonnen hat, kostet weit unter 80.000 Euro. Natürlich kann man eine halbe Stunde in einem Spartensender nur schwer mit fast drei Stunden im Hauptabendprogramm vergleichen, jedoch beweisen die Kosten und das Kritikerlob, dass moderne, ausgezeichnete Fernsehunterhaltung nicht zwangsläufig Unsummen kosten muss, dass vielleicht andere Voraussetzungen wichtiger sind: nämlich der unbedingte Wille, das Publikum nicht zu langweilen, sondern zu unterhalten, zu überraschen.

Wäre es nicht an der Zeit, mutig zu sein?

Von den großen Senderchefs hört man mitunter, dass man einem größeren Publikum Entertainer wie Jan Böhmermann oder Joko und Klaas nicht zumuten könnte. Woher wollen sie das wissen? Offensichtlicher ist doch wohl, dass man einem „größeren Publikum“ Markus Lanz nicht zumuten konnte. Wäre es also jetzt nicht endlich an der Zeit, mutig zu sein, etwas zu wagen? Die ranzulassen, die wollen und können?

Es ist doch so: Das Fernsehen ist immer noch in der Lage zu überraschen und zu faszinieren – es bildet noch immer Spannungsmomente, über die man spricht, und die den Fernsehzuschauer mit offenem Mund auf dem Sofa zurücklassen: Das „Gespräch“ zwischen Marietta Slomka und Sigmar Gabriel etwa, die sich fast zehn Minuten im „heute journal“ ankeiften; oder Jürgen Klopps Privataufstand gegen Mitarbeiter des ZDF, der nun auch schon mehrere Folgen andauert. Das Fernsehen schafft wie kein anderes Medium, durch die Gleichzeitigkeit von Ereignis und Teilhabe, diese kleinen Spannungsmomente. Es ist etwas anderes, ob ich einen Jürgen-Klopp-Ausraster live erlebe oder ihn mir am nächsten Tag auf Youtube anschaue. Das hat keine Wucht mehr – diese Wucht schafft das Fernsehen mit Livesendungen. Das ist auch der Grund, warum Sport im Fernsehen so erfolgreich ist. Und im besten Fall erzählt das Fernsehen auch noch eine Geschichte.

Laurine Garaude beschäftigt sich mit nichts anderem als mit Fernsehen, und was sie über das Medium und dessen Zukunft sagt, ist klug. Garaude ist Direktorin der MIPTV, der weltgrößten Zusammenkunft internationaler Fernsehmacher. Dem „stern“ sagte sie in der aktuellen Ausgabe, befragt natürlich zum Ende von „Wetten, dass..?“, dass die Quote ein Wert von gestern sei: „Nur zu testen, wer zur Ausstrahlung den Fernseher aufdreht, ergibt nicht mehr das ganze Bild.“ Sie meint, das man auch messen müsse, wer die Mediatheken der Sender nutzt oder bei Youtube schaut, denn: „Die Jüngeren bestimmen selbst, wann und wie sie fernsehen.“ Und es stimmt eben nicht, dass sich „die Jungen“ vom Fernsehen abwenden würden (und wenn, dann als Gerät), denn der Fernsehkonsum nimmt nicht ab, sondern zu. Vielleicht hat also das Gerät Fernseher an Bedeutung verloren, nicht aber das Fernsehen als Tätigkeit. Und Garaude sagt in dem Interview: „Die Frage ,Was ist eine gute Geschichte?’ ist die wichtigste, gleich ob es sich um eine Serie, ein Reality-Format oder eine Hauptabendshow handelt.“

"Wetten, dass...?" war früher einmal gut

Matthias Kalle ist Medienkolumnist beim Tagesspiegel und Stellvertretender Chefredakteur des "Zeit"-Magazins.
Matthias Kalle ist Medienkolumnist beim Tagesspiegel und Stellvertretender Chefredakteur des "Zeit"-Magazins.

© Michael Biedowicz

Eine gute Geschichte. „Wetten, dass..?“ war einmal eine sehr gute Geschichte – selbst Skeptikern fällt das wieder ein, wenn sie in der vergangenen Woche die Texte von Holger Gertz und Jens Jessen in der „Süddeutschen Zeitung“ und in der „Zeit“ gelesen haben. Gertz schreibt über die Wirkung des Moderators Thomas Gottschalk: „Man tritt dem deutschen Fernsehpublikum nicht zu nahe, wenn man es in seiner Gesamtheit als eher spießig bezeichnet. Aber kein halbwegs normaler Spießbürger will einem anderen Spießer zu offensichtlich zujubeln. Der Spießbürger will den Individualisten loben – schon um sich selbst ein wenig weniger spießbürgerlich fühlen zu können.“ Und Jessen schreibt über den wahren Kern der Sendung: „Es ging nämlich nicht um beliebige Geschicklichkeiten, schon gar nicht um professionelle Fertigkeiten, es ging um echten, groben Unfug, der erst durch nimmermüden Übungsfleiß in den Rang des Genialischen erhoben wurde.“

Besser kann man das Wesen guter Fernsehunterhaltung kaum zusammenfassen. Und dass beides – die Form und der Inhalt – immer noch funktioniert, beweist „Schlag den Raab“, in der eben auch eine gute Geschichte erzählt wird (einer kann, wenn er Stefan Raab schlägt, sehr reich werden), in der ein Individualist (Raab) zwar der Star ist, er aber ebenso wie der Kandidat groben Unfug (die Spiele) abliefern muss. Und das ist trotzdem gutes, erfolgreiches Fernsehen 2014.

Vielleicht ist das Fernsehen noch gar nicht am Ende seiner Möglichkeiten angekommen. Vielleicht fängt das Fernsehen jetzt erst an, all die Möglichkeiten, die es hat, auch zu nutzen. Dafür muss man frei sein – frei von Angst, frei von Zwängen, frei von der Quote. Das Ende von „Wetten, dass..?“ könnte der Anfang für diese Freiheit sein.

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