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Meinung: Die zweite Chance zum Frieden

Deutschland muss sich für atomare Abrüstung weltweit einsetzen Von Hans-Dietrich Genscher

Außenminister Frank-Walter Steinmeier will der Abrüstungspolitik neue Impulse geben. Damit knüpft er an die erfolgreiche Außen- und Sicherheitspolitik unseres Landes an, als es darum ging, die Spaltung Europas und Deutschlands friedlich zu überwinden. Für das westliche Bündnis waren auch in der Zeit des Kalten Krieges Rüstungskontrolle und Abrüstung integrale Bestandteile der Sicherheitspolitik.

Bei der Formulierung und Durchführung dieser Politik konnte Deutschland auch deshalb eine wichtige Rolle übernehmen, weil es für die konventionelle Verteidigung in Europa den größten Beitrag aller Bündnispartner geleistet hat. An diesem vorrangigen Sicherheitsbeitrag Deutschlands hat sich bis auf den heutigen Tag nichts geändert. Im Gegenteil, das richtige Festhalten Deutschlands an der Wehrpflicht schafft auch für den unwahrscheinlichsten Fall eine Sicherheitsreserve, die allen Bündnispartnern zugute kommt.

Die deutsche Abrüstungspolitik hat in der Vergangenheit wesentliche Beiträge zur Sicherheit geleistet. Deutsch-französische Initiativen waren erfolgreich, und die unbeirrbare Haltung der Bundesrepublik bei der Durchführung des Nato-Doppelbeschlusses führte mit der gänzlichen Beseitigung der nuklearen Mittelstreckenraketen zu substanzieller nuklearer Abrüstung in diesem Bereich.

Unser einseitiger Verzicht auf Atomwaffen und unsere Festlegung im Zwei-plus-vier-Vertrag sind wichtige Beiträge zur Stärkung der Autorität des Nichtverbreitungsvertrages. Zusätzlich zu den offiziellen Atommächten – das sind die ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates: USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien – sind drei neue inoffizielle Atommächte entstanden, nämlich Indien, Pakistan und Israel. Das Versprechen der Nuklearmächte zu durchgreifender nuklearer Abrüstung wurde nicht eingehalten. Das Teststoppabkommen wurde von wichtigen Staaten nicht ratifiziert. Die Entwicklung neuer Atomwaffen ist in vollem Gange. Die Tatsache, dass Nordkorea sich rühmt, Atomwaffen zu haben, ohne dass das zu erkennbaren Konsequenzen führt – das alles erschwert die Bemühungen um eine Verständigung mit dem Iran.

Die jüngsten Erklärungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Richtung nuklearer Rüstungsbeschränkung und Abrüstung sind ermutigend; sie sollten genutzt werden.

Die Wahrnehmung der globalen Verantwortung Deutschlands in einer Zeit globaler Interdependenz muss sich im Sicherheitsbereich im europäischen und im Bündnisrahmen vollziehen. Sie darf nicht als Notwendigkeit missverstanden werden, an einer unbegrenzten Zahl von Plätzen in der Welt mit der Bundeswehr präsent zu sein. Sie muss vielmehr zuallererst in der Rolle Deutschlands als Impulsgeber für eine globale Stabilitätspolitik ihren Ausdruck finden. Hier muss ein besonderes Gewicht auf die Durchsetzung des Nichtverbreitungsvertrages in allen seinen Teilen gelegt werden.

So wie Deutschland seine Verantwortung in der Vergangenheit in beispielhafter Weise durch sein Engagement in der Europäischen Gemeinschaft, mit seiner Vertrags- und Entspannungspolitik nach Osten, sowie maßgeblich im KSZE-Prozess und mit seinem entscheidenden Sicherheitsbeitrag in der Nato erfüllt hat, so muss es sich heute für atomare Abrüstung und eine Verhinderung der Weiterverbreitung von Atomwaffen engagieren. Die Verhandlungen mit dem Iran sind nur ein Aspekt. Aber das Drängen gegenüber den inoffiziellen Atommächten, dem Nichtverbreitungsvertrag beizutreten, gehört ebenso dazu wie das Bestehen auf nuklearer Abrüstung und die Verhinderung neuer Tests von Atomwaffen.

Jetzt entscheidet sich die Zukunft des Nichtverbreitungsvertrages. Ein Land wie Deutschland, das einseitig und vertraglich auf Atomwaffen verzichtet hat, kann eine solche Politik mit besonderer Glaubwürdigkeit vertreten. Wenn die amtierende Bundesregierung sich dieser Verantwortung stellt, dann eröffnet sie die Chance, dass sich unser Land ein weiteres Mal – wie zuvor bei der friedlichen Überwindung des Ost-West-Konflikts – um den Weltfrieden verdient macht.

Der Autor war von 1974 bis 1992 Bundesaußenminister.

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