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Meinung: Diese Brötchen ess’ ich nicht

Am Antidiskriminierungsgesetz zeigt sich das Leiden der Union in der Regierung

Von Robert Birnbaum

Über das Wesen einer großen Koalition ist mittlerweile eine Menge Unfreundliches gesagt worden: dass sie langweilig sei, schwerfällig, nur auf den kleinsten Nenner aus. Man wird diesen Charaktermerkmalen ein weiteres hinzufügen müssen – Große Koalition kann weh tun. Die CDU hat das gerade gelernt, ausgerechnet an einem Beispiel, bei dem der Schmerz besonders heftig ausfällt, dem Antidiskriminierungsgesetz. Die CDU hat das Gesetz im Wahlkampf als Musterbeispiel rot-grünen Regulierungswahns gegeißelt und rund um die Koalitionsverhandlungen als Musterbeispiel dafür behandelt, dass EU-Richtlinien höchstens eins zu eins umgesetzt werden dürfen. Jetzt wird es der Musterfall dafür, wie lange solche Schwüre halten.

Um es kurz zu machen: Sie halten genau so lange, bis sie auf die Probe gestellt werden. Betrachten wir dafür erst einmal die Sachebene. Dass die Bundesregierung – jede Bundesregierung! – europäische Richtlinien umsetzen muss, steht außer Frage. Wer das Projekt hätte stoppen wollen, hätte das vor langer Zeit in Brüssel tun müssen. Das Kind liegt also im Brunnen; fragt sich nur noch, ob es bloß nass wird oder größeren Schaden nimmt.

Die CDU-Antwort auf das Problem lautete „eins zu eins“. Das klang schön verführerisch, nämlich nach einer Art Dienst nach Vorschrift mit Boykotteffekt. So ist es aber nicht. Im Gegenteil. Gerade eine Umsetzung eins zu eins hätte es zum Beispiel den Kirchen, speziell der katholischen, sehr schwer gemacht, an ihren Konfessionsvorbehalten bei der Einstellung von Mitarbeitern auch außerhalb der eigentlichen Seelsorge festzuhalten. Auf diesem hochsensiblen Feld hatte mithin die Union selbst ein großes Klientelinteresse daran, vom Glaubenssatz „eins zu eins“ abzuweichen. Der Rest kam, wie er in jeder normalen Koalition kommen muss: Geben hier und Nehmen dort.

Nun ist diese Koalition allerdings keine ganz normale. Damit wird der Vorgang politisch zusätzlich brisant. In kleinen Koalitionen nimmt der kleine Partner es ungern, aber notgedrungen hin, dass ihm der größere gelegentlich auf dem Tablett eine Kröte serviert. In der großen Koalition ist diese Menüfolge schwerer zu verdauen. Der Niedersachse Christian Wulff hat den Kompromiss jetzt auf den Nenner gebracht, große Koalition bedeute, große Kröten schlucken zu müssen. Das ist das unappetitliche Gegenbild zu der eher von Angela Merkel und ihren Mitregenten verbreiteten These, große Koalition bedeute, viele kleine Brötchen zu backen.

Beide Lesarten der Speisekarte sind möglich, beide von je unterschiedlichen Standpunkten aus sogar legitim: Wo die Regierenden das Positive sehen, erkennt das Parteiauge nur das garstige Biest. Entscheidend für die Regierung und ihren Erfolg wird sein, dass sich nicht der Eindruck des großen Gewürges durchsetzt. Noch entscheidender, dass er sich nicht einseitig in einer Partei festsetzt. Die Gefahr besteht heute eher in der CDU. Bei den Sozialdemokraten fehlt es nach dem dritten Führungswechsel in Jahresfrist schon an Personal für einen Chor der Unzufriedenen. Bei der Union nicht.

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