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Meinung: Diplomatie und Despotie

Falscher hätte Bush den Kampf um die neue Weltordnung nicht beginnen können

Nun nimmt der schlimmste aller denkbaren Fälle seinen Lauf: Der Krieg kommt – und der Westen ist tief gespalten. Das haben Frankreich und die USA in gemeinsam widerstreitender Anstrengung geschafft. Die Verantwortung dafür, dass man mittlerweile schon froh sein muss, wenn die Alliierten zweier Weltkriege einander im Sicherheitsrat nicht anbrüllen, tragen vor allem zwei Männer: George Bush und Jacques Chirac.

Der Scheinriese aus Paris hat jeden Kompromiss blockiert und eine zweite Resolution schon abgelehnt, bevor sie auf dem Tisch lag. Den Vorschlag mit dem 30-Tage-Ultimatum hat er eine Woche zu spät gemacht. Und was erreicht? Den Krieg hat er nicht verhindert. Moralischer Sieger ist er auch nicht, wer nimmt es ihm schon ab, dass es ihm um die Eindämmung des Irak geht? Eher um die der USA. Was also hat er dafür bekommen, dass er die Spaltung betrieb? Den Rausch einer Größe, die Frankreich nicht mehr hat.

Mit der Vetomacht, die die globalen Kräfteverhältnisse vor 60 Jahren widerspiegelt, konnte sich Chirac im Sicherheitsrat als Supermächtchen aufführen – und in Europa mit der Kraft der zwei Herzen, die ihm der deutsche Kanzler verlieh. Geschwächt hat er damit eben das Gremium, das sein Land stärker erscheinen lässt, als es ist: die UN. Auch das Bündnis mit Deutschland wird so nicht bleiben. Weil Berlin und Paris zwar die gleiche Politik betreiben, aber aus entgegengesetzten Motiven: Frankreich als klassische nationale Machtpolitik, Deutschland als Vorreiter eines transnationalen Ansatzes.

Schlimmer noch als Chirac treibt es Bush. Dessen Administration hat so viele Fehler gemacht, dass man kaum noch sagen kann, gemessen woran es eigentlich Fehler waren. Was hätte Bush diplomatisch denn gewollt, wenn er zur Diplomatie fähig gewesen wäre? Er wollte über die UN nach Bagdad gehen und sagte gleich, dass es auch ohne sie ginge. Er tat, als wolle er die Abrüstung des Irak, und setzte hinzu, die einzig nachhaltige Abrüstung sei ein Regimewechsel. Dann wollte Bush eine zweite Resolution, die man zwar auch wieder nicht brauche, aber massiv anstrebe, um Blair zu helfen. Den man im Übrigen ebenfalls nicht brauche, so Rumsfeld. Wenn man in all dem eine zusammenhängende Politik erkennen möchte, dann besteht sie darin, die Welt demokratisieren zu wollen – mit den Mitteln einer despotischen Diplomatie. Diese Methode hat es der Welt unmöglich gemacht, die Ratio amerikanischer Politik zu verstehen.

Warum haben Chirac und Bush so gehandelt. Aus Eitelkeit und Unreife? Wenn es nur so wäre. Vieles spricht dafür, dass Chirac, der mehr Macht ausübt, als er hat, und Bush, der mehr Macht hat, als er vertragen kann, etwas austragen, das tiefer geht. Die Anforderungen der neuen Weltordnung übersteigen offenkundig die Potenziale aller Beteiligten. Der 9.11. und der 11.9. haben eine neue Situation geschaffen, die nun am Fall Irak aufgearbeitet wird. Waffen, auch chemische, biologische und nukleare, sind durch die Globalisierung leichter zu beschaffen als während des Kalten Krieges. Und der suizidale Terrorismus kann diese Bedrohung überall hintragen, auch ohne Mittelstreckenraketen. Darum kann es für den Westen Sicherheit nicht mehr allein durch konventionelle Abrüstung geben, auch nicht durch solche, wie sie Saddam fernsehgerecht inszeniert. Die Mittel zur Zerstörung kann er verstecken oder sich jederzeit erneut beschaffen.

Sicherheit gibt es nur, wenn möglichst überall nur noch Regierungen an der Macht sind, die nicht die Absicht haben, diese Mittel gegen irgendjemanden zu wenden. Das sind, auf lange Sicht, nur mehr oder weniger demokratische Herrscher. Das Ziel ist also „Regime Change“ – der jedoch nicht mit der Erklärung eines Kriegs beginnen muss, sondern mit der Erklärung dieser neuen Politik.

Das jedoch, Sicherheit durch demokratischen Imperialismus, ist ein äußerst ehrgeiziges, neues und auch riskantes Projekt. Es setzt nicht auf Stabilität von Diktaturen, sondern auf Instabilität, die Diktaturen stürzt. Ob die US-Regierung, die behauptet, das zu wollen, dazu bereit ist, ob die Amerikaner das unterstützen würden, ob die Franzosen (eher nein) und die Deutschen (eher ja) es mittragen würden, wissen wir nicht. Denn niemand, auch Bush nicht, hat diese Debatte ernsthaft eröffnet. Darum machen alle das, was sie von jeher können: alte Machtpolitik.

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