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Meinung: Domino als Friedensformel

Ruhe im Irak, dann in Nahost? Es könnte umgekehrt kommen

Der Irakkrieg hat die arabische Welt verändert. In den Schlagzeilen hat er dem Palästinakonflikt sogar den Rang abgelaufen – und dessen Verlauf stark beeinflusst. George W. Bush hoffte einst sogar: Ist Saddam Hussein erst verjagt und der Irak demokratisch, wird sich auch der Nahe Osten, an dem sich schon so viele US-Präsidenten erfolglos abgearbeitet haben, leichter befrieden lassen. Doch nun, am Ende des Jahres, gibt es wenig Hoffnung: im Nahen Osten neue Gewalt, der Irak ein großer Schlamassel. Wann werden dort je Frieden und Stabilität einziehen – und wo zuerst: im Irak oder in Palästina?

Präsident Bushs Zauberformel ist nicht aufgegangen, jedenfalls nicht kurzfristig: Der Regimewechsel in Bagdad hatte weder einen Domino-Effekt auf die gesamte Region noch hat er Palästina einen Friedensschluss beschert. Langfristig mag sich das ändern, aber neun Monate nach Kriegsende sind das politische Chaos und die Unsicherheit im Irak so groß, dass der Nahostkonflikt im Vergleich dazu fast übersichtlich und lösbar erscheint.

Die USA wirken ratlos: Der Aufbau politischer Institutionen ist bisher nicht vorangekommen. Nicht einmal auf die Vorgehensweise konnte man sich einigen. Die gewöhnliche Kriminalität wurde eingedämmt, aber die Anschläge auf Ausländer und Iraker, die mit den USA zusammenarbeiten, haben zugenommen. Man weiß nicht einmal genau, wer dahinter steckt – vermutlich ein breites Spektrum von nationalistischen Gruppen über Anhänger des Saddam-Regimes bis zu islamistischen Extremisten. Sie nehmen sogar die Vereinten Nationen und das Internationale Rote Kreuz ins Visier, die in anderen Konflikten der Welt respektiert werden.

Der überschaubare Konflikt

In vielen Bereichen sahen sich die USA gezwungen, ihren Politikansatz zu ändern. Erst wollten sie die Macht nicht teilen, nun aber Regierungs- und Verwaltungsaufgaben an die Iraker abgeben, noch bevor eine Verfassung ausgearbeitet ist. Erst hatten sie die irakische Armee aufgelöst und die Milizen entwaffnet; jetzt wollen sie auf kurdische Peschmerga und die Milizen der Schiitenorganisation Sciri zurückgreifen.

Diese Einbeziehung der Iraker ist jedoch keine Garantie für schnelle Erfolge: Bis auf die Kurden wissen die meisten Gruppen nicht, was sie politisch wollen. Viele Iraker setzen sich erstmals mit Begriffen wie Föderalismus, Proporzsystem oder Personenstandsrecht auseinander. Der provisorische Regierungsrat hatte nur beschränkte Befugnisse, aber nicht einmal die hat er genutzt. Neben den Exilanten und religiösen Persönlichkeiten wie Ajatollah Sistani haben sich kaum Führungsfiguren herauskristallisiert. Sistani wiederum zieht nicht mit den USA an einem Strang, sondern arbeitet partiell gegen sie. Er fordert generelle Wahlen bereits für kommenden Juni. Gleichzeitig hat die Besetzung des Irak den Terrorgruppen in der Region neuen Auftrieb gegeben, siehe die jüngsten Anschläge in der saudischen Hauptstadt Riad und in Istanbul.

So unübersichtlich wie im Irak ist die Lage im Nahostkonflikt nicht, dort liegen alle Karten auf dem Tisch. Wer die Gegner sind und wer die zukünftigen Gesprächspartner, wer kompromissbereit und wer fundamental ablehnend – das ist bekannt. Und ebenso, wo die roten Linien verlaufen, was unannehmbar für jede der beiden Parteien ist. Immer wieder wurden realistische Lösungen vorgeschlagen, der Genfer Plan zivilgesellschaftlicher Gruppen beider Seiten hat es gerade wieder demonstriert. Und auch wenn es zynisch klingen mag: Sogar bei Terroranschlägen in Israel wissen beide Seiten, wer sie verübt.

Der Irakkrieg hat zudem eine ernst zu nehmende Bedrohung der Existenz Israels beseitigt, Saddam Hussein kann keine Raketen mehr abschießen. Und, auch da hat Bush Recht, durch die nun ausbleibenden Geldzahlungen an Familien von Selbstmordattentätern sind die Terrororganisationen Hamas und Dschihad wohl geschwächt. Wer heute Irak mit Palästina vergleicht, kann der behaupten, der Nahostkonflikt sei unlösbar?

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